Ausgabe 05 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Auf Messers Schneide

Zu einigen Erzählungen von Walter Foelske

Der Zustand unserer Gesellschaft gleicht einem Konzertabend, wie ihn Walter Foelske in der Erzählung „Das Konzert" beschrieben hat: Dort droht ein kultivierter Konzertabend in einem Fiasko zu enden, als sich plötzlich die Ausgänge nicht mehr öffnen lassen, die Klimaanlage nur noch heiße Luft in den Saal bläst und das Publikum in Panik gerät. Anstelle der erwarteten Aufführung zeitgenössischer Musik hören wir den polyphonen Chor vielfach widerstreitender Existenzäußerungen eines erschrockenen Publikums. Und plötzlich erkennen wir in dieser grotesken Veranstaltung das Bild unserer überkomplexen Gesellschaft, die ungeheure Spannungen aushalten und ausgleichen muß und doch immer wieder im Chaos zu versinken droht.

Etwa die Hälfte der zwölf Erzählungen aus dem Band Weißes Blut kreist um das Leben von Schwulen heute, einer Zeit, in der offene Repression und Ausgrenzung in Deutschland seltener geworden sind. So begegnen wir in „Tote" einem reaktionären Ehepaar, das einen Friedhofsdirektor wortreich davon zu überzeugen versucht, den an Aids verstorbenen Freund nicht im Grab an der Seite ihres Sohnes ruhen zu lassen. Foelske ironisiert aber auch fragwürdige Formen der Anpassung von Schwulen an bestehende Verhältnisse. In der Erzählung „Nachhilfe. Eine utopische Schmonzette" von 1982 verarbeitet Foelske Motive aus der Romantik, um das Eheglück zwischen Schwulen zu persiflieren, während in der medienkritischen Erzählung „Im Container" eine sensationslüsterne Gesellschaft aufs Korn genommen wird, die sich von einem angepaßten Schwulen nicht angemessen unterhalten fühlt und ihn deswegen auf den Müll wirft. Hier wie in allen Erzählungen ist Foelskes Sprache sehr plastisch, reich an Bildern und Redewendungen und sehr präzise. Manche seiner Dialoge gleichen einem blitzschnellen Schlagabtausch, die den Handlungscharakter der Sprache besonders deutlich hervortreten läßt.

Der Leser hält den Atem an, wenn sich in der Erzählung „Auf Messers Schneide" zwei Halbwüchsige an ihren Peinigern rächen. Denn jederzeit droht das symbolische Spiel in blutigen Ernst umzuschlagen. Die bedrohliche Stimmung, dieses Bewußtsein, mit Foelske auf dünnem Eis zu gehen, ist für seine Literatur ebenso charakteristisch wie der Einsatz von Spannungskurven: Foelske versteht es, seinen Leser zu fesseln und das Ende hinauszuzögern. Darin liegt der Unterhaltungswert dieser Erzählungen.

In der zweiten Hälfte des Buches überwiegen die todernsten Geschichten. „Im ersten Morgenrot" beschreibt den explosiven Beginn einer sadomasochistischen Beziehung, die in der Spannung zwischen gewaltförmiger Sexualität und Liebessehnsucht ihre Dynamik entfaltet. Kattwitz, aus dessen Perspektive diese Geschichte erzählt wird, liegt im Kampf mit der Sprache: Er schreibt seine Erlebnisse nieder und sucht nach treffenden Worten, korrigiert sich, zerknüllt die beschriebenen Seiten, um erneut anzusetzen. So läßt Foelske den Leser am Prozeß des Schreibens teilhaben. Die Thematisierung der sprachlichen Form verleiht dem Text eine innere Reflexivität, die die Literatur von Foelske insgesamt auszeichnet. Der Kampf um die treffende Formulierung ist so wichtig, weil sich im Sprachgebrauch die besondere, oft eigenwillige Perspektive mit ihren Wertungen und Vorurteilen zeigt. In der Sprache beginnen wir, die Leiden und Sehnsüchte des Helden aus der Innenperspektive nachzuvollziehen. Dieser verstehende Nachvollzug tritt an die Stelle von Erklärungen, die von Foelske nicht angeboten werden. In der Erzählung „Weißes Blut", die das Ende des Buches bildet, bleibt diese Innenwelt jedoch vor uns verschlossen. Foelske beschreibt einen Menschen im Schattenreich vollkommener innerer Einsamkeit und Kälte. Der Leser wird zum sprachlosen Zeugen grausamer Handlungen, die einer rätselhaften Logik unterworfen scheinen.

Von den vielfältigen Erzählungen, die in diesem Band versammelt sind, führen thematische Verbindungslinien in alle Bereiche des literarischen Schaffens von Walter Foelske, das neben mehreren Erzählbänden auch Romane und Theaterstücke umfaßt. „Weißes Blut" eignet sich deswegen ideal als Lektüreeinstieg.

Peter Böke

> Walter Foelske: Weißes Blut. Erzählungen. Trotz-Verlag, Köln 2002. 20 Euro

 
 
 
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