Ausgabe 05 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Blackout in der Turmstraße

Die Ankündigung flatterte schon vor drei Monaten in die Redaktion: Das Heimatmuseum Tiergarten kündigte eine Ausstellung zum Thema „Brauereien und Gaststätten in Tiergarten" an. Bei einem Lokalaugenschein in der Turmstraße Ende Mai konnte allerdings nicht einmal geklärt werden, ob die Ausstellung, die noch bis September laufen soll, bereits stattfindet oder erst aufgebaut wird.

Der Aufpasser in den Ausstellungsräumen, derzeit nur zur Hälfte bespielt und zur Hälfte mit Gerümpel vollgestellt, wußte das nicht mit Sicherheit zu sagen. Möglich, daß in einem Nebenraum noch etwas zum Thema aufgebaut werde. Im übrigen fände man in der Ausstellung aber Informationen zur ehemaligen Schultheiss-Brauerei in der Stromstraße. Die ständige Ausstellung führt in wenigen Stationen, so knapp wie einprägsam, von der Steinzeit bis in die Gegenwart.

Begrüßt wird der Besucher vom Skelett des „ältesten Zeitzeugen", dem 11000 Jahre alten „Elch vom Hansaplatz". Die früheste Spur menschlichen Lebens ist eine aus einem Rentiergeweih gefertigte Waffe, und die Moabiter Industriegeschichte beginnt bereits mit einem germanischen Kalkbrennofen, den man akkurat nachgebaut hat. Dann passiert lange nichts, dann kommen im 18. Jahrhundert die Hugenotten. „Ausländer gründen Moabit", belehrt eine Texttafel den Besucher, „französische Flüchtlinge versprechen Staatsgewinne. Die Arbeit führt jedoch zu einem Fiasko." Was ist passiert? Die Siedler lassen ihre Maulbeerbäume verkommen und ziehen wieder weg. Ob sie sich versoffen haben? Die alttestamentarischen Moabiter jedenfalls sind einst im Suff gezeugt worden.

Einige Jahrzehnte verstreichen nach diesem Besiedlungsfehlstart, dann beginnt die Moabiter Industriegeschichte, u.a. durch die Gründung der Brauerei in der Stromstraße, deren Geschichte in Text und Bild dokumentiert wird ­ ein Teil der im Aufbau befindlichen Bierausstellung? Eine weitere Brauerei entsteht mit der Kronenbrauerei in Alt-Moabit, aber auch Porzellanindustrie und Maschinenbau siedeln sich an. 1861 wird Moabit eingemeindet, wir lesen dazu im Museum: „Berlin überwindet die Angst vor den erhöhten Kosten für die Armenpflege." Moabit ist indes ein beliebtes Ausflugsgebiet für die Unterschicht, die dort „derben Vergnügungen" nachgeht.

Eine schillernde Rolle in der Moabiter Industriegeschichte spielte die Firma Loewe, die ihr Geld hauptsächlich mit Waffen verdiente. Und auch in der vom Heimatmuseum präsentierten Firmengeschichte stolpern wir über den Alkoholismus, gleichsam der rote Faden dieser Ausstellung, die irgendwie auch eine Bierausstellung ist. Bei Loewe verfiel man in den zwanziger Jahren nämlich auf die glorreiche Idee, zur „Bekämpfung des Bierkonsums" Tee in Bierflaschen abzufüllen, das sogenannte Löwenbräu, das von den Arbeitern freilich nur sehr zögernd angenommen wurde. Loewe war deutscher Pionier in der Anwendung von Disziplinierungsmethoden US-amerikanischer Provenienz. Die Ausstellung vermerkt dazu kritisch: „Bei Loewe wird der arbeitende Mensch der kartengesteuerten Maschine angepaßt."

Der Aufpasser weist mich schließlich noch auf die faksimilierte Werbung des Weinrestaurants Schumann hin: „Kommen, sehen und staunen! 4 schneidige Damen im Costüm, als Wassernixen". Wenn dereinst vielleicht doch noch eine Ausstellung über Brauereien und Gaststätten in Tiergarten zusammengestellt werden sollte, könnte man dieses Plakat zeigen.

hb

> Das Heimatmuseum Tiergarten im Brüder-Grimm-Haus, Turmstraße 75, ist Di bis Fr und So von 12 bis 17 Uhr und am Do von 12 bis 18 Uhr geöffnet.

 
 
 
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