Ausgabe 05 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 
Dürer

Dürer mußte schweigen

Scheherazade der technischen Machbarkeit: David Hockney untersucht technische Hilfsmittel in der Malerei

Über Optik wird im Kunst- und Medienkontext im allgemeinen wenig erhellend, wenig fachbezogen gesprochen. Die Physikstunde im dritten Programm des Bayerischen Rundfunks korrespondiert auch nicht interdisziplinär mit den Musiksendern Viva oder MTV. So bleibt Physik eine Formel, MTV Form. Im Internet dreht sich ein neues Automobil frei schwebend um die eigene Achse. Mit Web- und Werbegrafikern diskutiert der Rezipient selten über Raumdimensionen. Es geht um eine Geschichte der Abbildungstechniken. Wie verläuft darin der rote Faden, wo werden Veränderungen sichtbar?

Er (der alte Meister der Renaissance) malte mit der Hand, ohne Frage. Doch seine Vorstellung bezog er nicht vom Modell alleine – eine ganze Reihe optischer Apparaturen ermöglichten ihm eine fotorealistische Umsetzung seiner Bildideen. Ähnliche Sätze wiederholen sich vielfach in dem Buch von David Hockney, einem der bekanntesten – noch lebenden – Vertreter der Pop-Art. Er veröffentlichte es vor zwei Jahren unter dem recht unscheinbaren Titel Geheimes Wissen – Verlorene Techniken der Alten Meister wieder entdeckt. Darin forschte er konsequent oberflächlich, hielt sich nur an die sichtbaren technischen und kompositorischen Hinweise, die ihm die Bilder darboten. Er suchte nach optischen Tricks, den Hinweisen für den Einsatz von technischen Instrumenten, die Spuren hinterlassen haben mußten. Etwas übertrieben gesagt, entdeckt nun – unter Hockneys scharfanalytischer Anleitung, die er mit ungezählten Bildbeispielen garniert – jedes Schulkind, daß offenbar nicht nur Schulkinder sorglos durchpausen. Studenten an Kunstakademien haben den obligatorischen Aktzeichenkurs garantiert ohne Fotoapparat besucht – nicht zuletzt, weil es verpönt war, Modelle mit der obszönen Kamera zu belästigen. Verfechter eines freien Zeichenstils scheuen Spiegel und Linsen wie der Teufel das Weihwasser. Warum haben sie den Satz von Paul Klee, „Der heutige Künstler ist mehr als (eine) verfeinerte Kamera" (Kunst-Lehre, Leipzig 1991), zum Dogma erhoben?

Michelangelo

Caravaggio hätte sich seinerzeit darüber schulterzuckend in seine Trickstudios zurückgezogen. Dort spiegelte, drehte, pauste, kopierte er nach besten Kräften. Schließlich hatte er seinerzeit den Ruf eines Spielbergs der Malerei inne, den er zu verteidigen suchte. Das sah toll aus: opulente Szenen mit prallen Körpern, Wein, Gesang und Mord. Alles unter grellsten Spotlichtern inszeniert ­ die es damals nicht gab. Ergo vermutet Hockney, daß da nur hellstes Sonnenlicht Ersatz bieten konnte, d.h.: Die Inszenierungen fanden outdoor statt. Die Szene wurde von draußen ­ durch ein Fenster, über eine Linse ­ ins Atelier gespiegelt. Später dann noch perfekter, weil die Spiegelung umgekehrt werden konnte, respektive Vorlagen gespiegelt werden konnten. Man konnte nun ­ wie gesagt, es ist Renaissance, so in den 1590ern ­ also in den großen Werkstätten Italiens leicht Modelle und deren Abbilder optisch projizieren. Nicht alle Maler hatten dann aber beim Sampeln/Komponieren so ein Händchen wie Caravaggio ­ bei weitem nicht. Es gab furchterregende Collagen („Multiple-Windows-Malerei": die räumlichen Beziehungen der einzelnen Objekte zueinander schienen aufgehoben), deren einzelne Teile aber wirkten fotorealistisch. Und dieses Moment war stark gefragt. Adel, Klerus, Frühkapitalisten wetteiferten um möglichst viel Authentizität in ihren Gesichtern, in ihren edlen Gewändern, und sie waren im Stande und bereit, für diese Portraits ebensoviel zu zahlen wie für Sex & Crime-Evergreens im Stile Caravaggios.

Der Paradigmenwechsel in der europäischen Malerei, hin zum (Foto-) Realismus erfolgte um 1430 in Italien (Tizian, Leonardo, Raphael) und er erfaßte von da aus bald („bald" für diese Epoche entspricht etwa 100 Jahren) alle übrigen Länder, insbesondere Spanien (Velázquez) und die Niederlande (Hals, Vermeer, Van Dyk). Dürer reiste zum ersten Mal 1494 von Nürnberg nach Venedig und Bologna um seinem ­ ohnehin realistischen ­ Stil neue Impulse zu geben. Sein Selbstportrait von 1500 ist ein Beispiel ausgeklügelter Raffinesse. Hat er sich selbst im Spiegel, und mit Hilfe eines Prismas gemalt? Die rechte Hand wäre demnach die linke, d.h.: Er hatte die Malhand frei. Ich beobachte die Proportionen von Ellbogen, Hand und Körper zueinander, und sie erscheinen optisch ein wenig unlogisch. Vielleicht hat er die Hand später gemalt und alles aufeinander abzustimmen versucht? Jedenfalls traue ich meinen Augen nicht mehr recht.

Sehe ich alte Gemälde, kommen mir neuerdings Zweifel an den Darstellungstechniken, wie ich sie sonst mehr im Kino hege, wenn ich computergenerierte Bilder vermute. Um wieder auf Dürer zu kommen: Er reiste nicht viel. Aber in Italien war er 1494 und 1507. Von einem Treffen in Bologna mit Luca Pacioli, einem engen Gefährten Leonardo da Vincis, wird gemunkelt. Und, daß er dabei eventuell ein Schweigegelübde über seine neuen Erkenntnisse hatte ablegen müssen. In der Tat sind Aussagen über moderne Techniken von Dürer nicht überliefert. Aber das ist während der gesamten Kunstgeschichte so gewesen, daß die „Mal-Hardware", die Technikgeheimnisse gut gehütet wurden, zumal es auch um die Existenz bzw. das hohe Ansehen des Meisters ging. Wissen ist Macht, ist Revolution, ist Wohlstand.

Heute, wo der Durchschnittsverdiener seinen PC und die Digitalkamera zu Hause hat, wird um die Hardware nicht mehr gefeilscht. Schließlich läßt sich damit eine Menge Profit machen. Statt eines Handbuchs über Optik und Perspektive bekommt er lediglich ein Vario-Objektiv und eine Speichereinheit. Der Rest ist Schweigen. Programme-Lernen ist der moderne Ausbildungsmarkt. Gute Softwarekenntnisse in der Schule zu erwerben, ist noch unwahrscheinlich. So wirkt sich ein „Markt der Optik", der alles, was Medienberuf genannt wird, berührt, ganz gewaltig auf die Sozioökonomie einer Gesellschaft und damit auf seine sozialen Hierarchien aus. Das nur am Rande. Wie auch Hockney zu dem Punkt der Kontrolle über Medien nur einen kleinen Abstecher wagt, wenn er schreibt: „Hitler, Stalin und Mao verordneten Bildwelten, die ausschließlich auf dem Blick durch die Linse basierten und ihre Macht festigen sollten. Gibt es da einen Zusammenhang (zwischen Optik und Massenmord, Anm.d. Verf.)? Mit Sicherheit, da die Kontrolle der Medien ganz wesentlich zum Handwerk der Schlächter gehörte." Und weiter: „Der Computer hat die Fotografie wieder stärker der Zeichnung und dem Gemälde angenähert; Software-Programme benutzen Begriffe wie palette, brush, pencil und paintbox. Doch wo stehen wir heute?" Vielleicht an einem ähnlichen Punkt wie zum Ende des 19. Jahrhunderts, als die Fotografie mit ihrer massenhaften Verbreitung der Kunst einen weiteren Paradigmenwechsel bescherte. Eine freiere Malerei entstand. Van Goghs Schädel mit Kippe z.B. spottet den alten Darstellungsdogmen und damit also auch dem Fotorealismus Hohn.

Jörg Gruneberg

> David Hockney, Geheimes Wissen, Knesebeck-Verlag München 2001, 50,11 Euro.

Abbildungen aus dem besprochenen Buch:

1) Albrecht Dürer, „Selbstbildnis im Pelzrock", Öl auf Lindenholz, 67x49cm – bezeichnet mit der Jahreszahl 1500 und dem Monogramm AD. Oben rechts die Inschrift: Albertus Durerus Noricus/ipsum me propriis sic effin/gebam coloribus aetatis/anno XXVIII (So malte ich, Albrecht Dürer aus Nürnberg, mich selbst mit unvergänglichen Farben im Alter von 28 Jahren.) Das Bild ist zu sehen in der Alten Pinakothek, München.

2) Michelangelo Merisi da Caravaggio, „Judith und Holofernes", 1598: Caravaggio machte fast keine Vorstudien. Er ritzte zur Orientierung – die Modelle sollten zwischen den Sitzungen wieder an der gleichen Stelle ihre Plätze einnehmen können – lediglich Hilfslinien in die feuchte Grundierung. Die kann man heute noch sehen. Das Bild der Szene wurde auf die 144 x 195 cm große Leinwand projiziert. Die Projektion erlaubte eine variable Vergrößerung, wobei eine kleinere Fläche immer die brillanteren Bilder liefert. Gemalt wurde das Bild in Öl und natürlich in Farbe, zu sehen in der Galleria Nazionale d´Arte Antica, Pallazo Barberini, Rom. Die Schwarzweißabbildung verdeutlicht aber sehr schön die, einer Fotografie sehr ähnlichen, kontraststeigernden Schlaglichter, die von sehr hellem Licht herrühren. Es könnte sich, bei flüchtiger Betrachtung, auch um ein Standbild aus einem Hollywood-Film der vierziger Jahre handeln, wo ebenfalls mit sehr starker Beleuchtung gearbeitet wurde – Film-Noir, „Schwarze-Serie", harte Kontraste, dunkle Kulissen, helle Spotlichter auf Gesichtern etc., für eine dramatische Stimmung ideal.

 
 
 
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