Ausgabe 05 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Aus dem Blick der Architekten

Keine Räumung der Wagenburg „Schwarzer Kanal"

Auch wenn es um viele alternative Projekte in Berlin derzeit nicht gerade gut bestellt ist, erscheint hier und dort mal ein Lichtstreif am Horizont. So wurde die Räumung der Wagenburg „Schwarzer Kanal" von ihrem derzeitigen Standort an der Michaelkirchstraße in Mitte im letzten Moment abgewendet. Die Wagenburg hatte ihren ehemaligen Standort an der Schillingbrücke verlassen müssen, weil hier die ver.di-Bundeszentrale errichtet werden sollte. Als Ersatzgelände überließ ihr die am Bauvorhaben beteiligte A.L.E.X. Bau GmbH die Grundstücke Köpenicker Str. 54 und Michaelkirchstr. 20/21 per Nutzungsvertrag bis zum 31. März 2005. Da dies mit Zustimmung der Baustadträtin von Mitte, Dorothee Dubrau, geschah, hätte die Angelegenheit zu diesem Zeitpunkt ein gütliches Ende finden können – wenn nicht der Eigentümer eines benachbarten Bürogebäudes, ein Architektenverband, wegen der angeblichen „Wertminderung" seines Objektes durch die Nachbarschaft der Wagenburg vor das Verwaltungsgericht gezogen wäre.

Foto: Knut Hildebrandt

Das Verwaltungsgericht gab den Klägern recht, da „sich diese Grundstücksnutzung nicht in die Umgebungsbebauung einfüge", und verfügte eine Räumungsfrist bis zum 30. April diesen Jahres. Die Beschwerde der Wagenburgbewohner gegen dieses Urteil wies das Oberverwaltungsgericht am 22. Januar 2003 zurück. In der Folge verfaßte am 16. April ein mittlerweile pensionierter Mitarbeiter des Bezirksamts Mitte eine Räumungsaufforderung, angeblich ohne Kenntnis von Baustadträtin Dubrau. Die Räumungsaufforderung des übereifrigen Bürokraten bezog sich auf beide genutzte Grundstücke, obwohl der Gerichtsbeschluß nur das vom Bürogebäude aus einsehbare Grundstück Köpenicker Str. 54 betraf, von welchem sich die Wagenburg mittlerweile zurückgezogen hatte. Da sich das Schreiben des Bezirks aber nicht an den Verein „Schwarzer Kanal e.V.", sondern an „alle Benutzer der auf dem Grundstück befindlichen Bauwagen, Fahrzeuge u.a. baulichen Anlagen" richtete, ist es nicht rechtsgültig. Baustadträtin Dubrau erklärt nun, der Bezirk werde keine neue Räumungsaufforderung aussprechen, da sich die Wagenburg nur noch auf dem Grundstück an der Michaelkirchstraße befinde, welches der Gerichtsentscheid nicht betreffe. Und auch die Architekten haben keine weiteren Schritte angekündigt, seit die Bauwagen ihren Blicken entschwunden sind.

Kern des Problems ist, daß in Berlin eine rechtliche Absicherung von Wagenburgen nicht möglich ist, da die dauerhafte Nutzung eines Geländes mit Bauwagen als städtebaurechtlich nicht genehmigungsfähig gilt. Eine Möglichkeit, an diesem Punkt politisch zu intervenieren, ist die für den Herbst diesen Jahres vorgesehene umfassende Reform der Landesbauordnung. Hier könnten Wagenburgen als zulässige Nutzung von Grundstücken bestätigt werden, wie es bereits in wenigen anderen Bundesländern der Fall ist.

Thorsten Friedrich

 
 
 
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