Ausgabe 05 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Mächtigkeitsballung der Superintelligenz

Ditte zerrt Menschenkind im Bahnhof Alexanderplatz durch die Passantenströme auf eine Glasscheibe zu, hinter der etwas fluoresziert, etwas Kosmisches, ein intergalaktisches, höchst ausserirdisches Flimmern. Wo möglich? Ausgerechnet zwischen Silberstühlen, Kosmetikläden und Reformhaus-Verkaufsstelle? „Du spinnst, Menschenkind", wirft Ditte ihrem Begleiter vor, allerdings mit einem unsicheren Flackern in den Augen, denn beim PSG-Laden Presse und Buch entsteht eine Mächtigkeitsballung, der sich nicht einmal Ditte entgegenstemmen kann. Zahlreiche Terraner, also Erdlinge wie du und ich, rotten sich vor der Glasfront der Firma PSG zusammen, erregt und in froher Erwartung. Man wedelt mit grünen Plastefolien über Bistrotischchen, die den Durchgang zur Rolltreppe ein wenig versperren, stellt BOLSIUS-Tagesbrenner darauf, stöpselt an elektrischen Quellen herum, baut große Lautsprecherboxen zwischen Büchertischen auf und läßt Glenn Miller dudeln.

„Hast Du's gesehen? Das kann doch nicht wahr sein!" Ditte stößt Menschenkind aufgeregt in die Seite. Ein Froschmann mit grüner Mütze! Wohin will er, was treibt ihn an? Ah, ein Plakat! Hier und heute wird „die größte Science Fiction-Serie der Welt" präsentiert, Perry Rhodan!!! Deshalb der Auflauf, jung & alt drängen an die Tischchen, hinter denen die Protagonomen der Show sitzen und fleißig Autogrammkarten und Silberbände signieren. „Wenn sogar der Protagonom der Stage Craft Crew ein Autogramm will ...", säuselt Ditte, „hol mir bitte auch ein Autogramm!" Erregt wie ein Schulbub schiebt sich Menschenkind, nun schon so was wie Sternenkind, an die Front. „Bitte ein Autogramm, bitte! Und können Sie raufschreiben: für Ditte, bitte?" Stolz bahnt sich Menschenkind einen Weg durch die Menge: Seht her, ich hab ein Autogramm vom Autor des Rhodans! Perry Rhodans, des Retters der Menschheit.

„Perry Rhodan hat nämlich die Menschheit gerettet. Sie stand am Abgrund!" So viel hat Menschenkind schon gelernt von den Leuten, entdeckt er doch auf dem Produktenstand Gucky, das kosmische Pelztier! „Vorsicht!" ruft Ditte, „Menschenkind, Vorsicht!" Aber schon ist Menschenkind in den Pappkarton gelatscht, der die Schätze vom Merchandising des Perry Rhodan birgt. Kugelschreiber, Feuerzeuge, Heftchen in Plastetüten. Und ein Preisrätsel! Alles platt, oder? Am liebsten würde Ditte als Energiewolke verwehen.

Voll peinlich der Auf- bzw. Zutritt! Der junge Mann von der Stage Craft Crew eilt zu Menschenkind, reicht ihm, wie einem überfälligen Altmutanten, die Hand und hilft ihm aus der Kiste. „Tja, muß man die Hand am Drücker haben! Wenn du noch ein paar Tips brauchst für das Preisrätsel, frag mich! Atlan und Arkon sind nicht dran. Nur Perry Rhodan."

Er klärt Menschenkind auf: „Seit 1961 erscheinen die Zukunfts-Abenteuer als Heftroman, gegliedert in Zyklen von 50 bis 200 Bänden." Ditte plaudert mit der Nachbarin vom Nebentischchen über den niedlichen Gucky, den sie zu gerne beim Preisrätsel gewinnen würde. Manchmal weiß man einfach nicht, was einem wirklich fehlt: „Ein Mausbiber! Von oben bis unten ein ganzer Kerl. Und selbst in der verwickeltsten Weltraumkatastrophe immer noch einen deftigen Witz auf den Lippen oder Lefzen oder was der so hat statt unsereiner." Auch die Nachbarin will diesen pelzigen Gesellen haben. Ihr Terrier zerrt an der Leine, zum Mausbiber hin.

Wie vor einem Raketenstart tritt Stille ein, als der Mann der Stage Craft Crew die Musik ausschaltet und die Mikros öffnet für die Stars des Abends. Sie lesen bzw. sprechen aus dem zu Herzen gehenden umfangreichen Schrifttum, es ist von Humanoiden die Rede, Rudimentsoldaten tauchen auf und irgendwelche körperlosen Gehirne. An der Stelle, als sich Perry Rhodan an die Energieflüsse schmiegt und zu den Sternen schleudern läßt, ruft die Deutsche Bahn AG: „Frau Lässig! Frau Lässig wird bei der Aufsicht erwartet!" Peng! Die Erde hat uns wieder. (www.Perry-Rhodan.net)

Brigitte Struzyk & Dieter Kerschek

 
 
 
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