Ausgabe 05 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Multikultureller Rassismus

Die Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg, Cornelia Reinauer, hat keine besonders hohe Meinung von ihren Untertanen: Friedrichshainer fänden, es gebe zu viele Ausländer in Kreuzberg, und die Kreuzberger befürchteten rechte Übergriffe, sollten sie doch mal aus Versehen die Oberbaumbrücke überqueren. Das Zentrum Demokratische Kultur (ZDK), das seit 1997 Rechtsextremismus und andere demokratiefeindliche Phänomene soziologisch untersucht, hat jetzt im Auftrag des Bezirksamts eine Kommunalanalyse zu rechtsextremen Tendenzen in den beiden Bezirksteilen angefertigt. Zwischen Februar 2002 und Februar 2003 wurden in Jugendclubs, Wohnhäusern, Kneipen und öffentlichen Plätzen 125 Interviews geführt.

Das Ergebnis ist wenig überraschend: Natürlich gibt es Rechtsextremismus in Friedrichshain, doch wesentlich weniger, als Westberliner erwarten. Weder erzielen dort rechte Parteien hohe Wahlergebnisse, noch existiert ein wirklich organisierter Neofaschismus, jedenfalls keiner, der in der Friedrichshainer Szene wirklich verankert wäre. Es sind wohl auch weniger orientierungslose Jugendliche, die zum Rassimus und Rechtsextremismus neigen, als Erwachsene, die noch immer nicht gelernt haben, mit dem Anblick Schwarzer umzugehen.

Zwar schimpfen Schwarze darüber, in Kreuberg oft für Dealer gehalten zu werden, doch wurde dort unter Deutschen kaum rechtsextremes Gedankengut festgestellt. So legten die Untersuchenden ihr Augenmerk auf muslimischen Rechtsextremismus bzw. Islamismus und wurden fündig: Von den Deutschen meistens unbemerkt gebe es bei den Muslimen eine Reihe nationalistischer, rassistischer und antisemitischer Organisationen. Vom Aufbau einer islamistischen Parallelgesellschaft könne aber keine Rede sein, gebe es doch auch Türken, die gegen den Rechtsextremismus ihrer Landsleute agierten. Wer allerdings die Säkularisierung allzu konsequent betreibe, gehe das Risiko ein, von islamischen Mitmenschen ausgegrenzt zu werden.

Das ZDK warnt davor, die Türken oder Muslime als homogene Gruppe wahrzunehmen ­ und tappt doch gerade in diese Falle: Wer sich nicht die Mühe macht, die über 200 Seiten starke Studie differenziert zu lesen, könnte daraus schließen, Ostberliner neigten zur Ausländerfeindlichkeit und Türken zum Islamismus, wird in der Studie doch genau danach gefragt. Dabei verläuft die Ausgrenzung offensichtlich nicht zwischen Türken und Deutschen, sondern vielmehr innerhalb dieser beiden Gruppierungen. Die rechte Kameradschaft Tor aus Friedrichshain bekriegt die vorwiegend deutsche Antifa und die national-religiösen Muslime die weniger Gläubigen. Um also herauszufinden, ob man es mit Rechtsradikalen zu tun hat, muß man wohl weiterhin die Leute ­ ob Deutsche oder Türken ­ erstmal ihre Meinung äußern lassen. Eine einjährige Studie scheint doch etwas aufwendig für diese Binsenweisheit.

Severin Mangold

 
 
 
Ausgabe 05 - 2003 © scheinschlag 2003