Ausgabe 04 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Aufs Wesentliche beschränkt

Die Bornholmer Hütte im nördlichen Prenzlauer Berg

Was das klassische Prenzlauer-Berg-Café mit ockergelbem Stuccofresco nur mehr oder weniger kunstvoll zu imitieren vermag, bietet die Bornholmer Hütte in der Bornholmer Straße 89 als erhabenes Original: Braun in allen Schattierungen, Beige, Rostrot, gedecktes Nikotingelb, ein kräftiges Schokoladenbraun, schattiges, verblichenes Braungrau. Wände, Decken, Boden und sämtliche Möbel des Lokals sind von einem samtigen Schimmer überzogen, vergilbt, nachlackiert und wieder zugequalmt – das ist wahre, altehrwürdige Pracht.

Die riesenhafte Anrichte, die die Längswand beherrscht, ist vollgestopft mit Spirituosen und Truckmodellen sowie einem Elektroherd für die Würstchen. Der Wirt hinterm Tresen trägt ­ wie auch einige der davorstehenden Gäste ­ ein Fan-Shirt: „Bornholmer Hütte ­ seit ca. 1907". Er klopft auf das Holz: „Alles original." Seit 49 Jahren ist die Bornholmer Hütte in Familienbesitz; der Laden läuft gut, aber auch nicht übermäßig gut. „Ich ändere hier nichts, erstens, weil ich nicht kann, und zweitens, weil ich nicht will." Selbst die uralte Kegelbahn im Keller ist dem Wirt heilig, wo dutzende Rohre an Wänden und Decken hängen und sich der Gast vollends in der Vorkriegszeit wähnt. Hier muß man die Kegel noch per Hand aufstellen.


Foto: Knut Hildebrandt

Für einen professionellen Verein ist das natürlich nichts, aber dennoch kommen viele regelmäßig hierher, nicht nur, um sich beim Kegelschieben zu verlustieren. „Premiere World Sportsbar, Kegelbar, Dämmerschuppen, Pool Billard, Dart" steht in einer wilden typografischen Mischung an den gardinenverhangenen Fenstern ­ all das bietet die Bornholmer Hütte. Vor allem aber funktioniert sie als Trinkhalle, groß, hoch, leer und nur von den locker verteilten Tischen her beschallt. Erst nach Mitternacht, wenn sich der Saal zu leeren beginnt, nimmt man die Musik wahr, die aus winzigen Lautsprechern quäkt. Den Fernseher hat der Wirt gar nicht erst angeschaltet, obwohl gerade die Champions-League-Übertragungen laufen.

Nicht nur in ihrer aufs Wesentliche beschränkten Einrichtung und Nutzung erinnert die Bornholmer Hütte an die Ostberliner Kneipen der Vorwendezeit. Auch in der Zusammensetzung der Kundschaft widersetzt sie sich dem Trend. Während man in den meisten Kneipen des neuen Berlin schon auf den ersten Blick erkennt, welcher Typ von Kunde hier verkehrt, ist die Bornholmer Hütte keinem Klischee zuzuordnen. Hier sitzen Arbeiter und Arbeitslose, berlinernde Akademiker, Kreative und jene seltsamen Leute, die sich jeder Klassifizierung entziehen. Das Kultursyndikat der anarchistischen Gewerkschaft FAU trifft sich hier zu seinem Stammtisch; aber auch dem CDU-Kreisverband Schönhauser Allee dient die Bornholmer Hütte als Austragungsort seiner Skatabende, ebenso sind einige Fans des BFC Dynamo regelmäßig anzutreffen ­ dann wird auch mal der Fernseher angestellt.

Der massive Tisch unter dem Schiffsmodell, das als Lampe dient, wirkt wie ein Stammtisch, aber das entsprechende Schildchen steht auf einem kleinen Tisch beim Tresen herum. Es sieht aus, als würde es nicht ernst genommen. Das ist schön, denn so kann auch jeder Neuankömmling mal eben den Stammgast mimen.

Roland Abbiate / Otto Witte

 
 
 
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