Ausgabe 04 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

musik für die massen: Grenzüberschreitungen

Es ist kein ganz neues Phänomen mehr: Nachdem sich jahrelang in London eine kuriose und extrem tanzbare Mischung aus asiatischer Melodik und Breakbeat-Rhythmen entwickelte, entdeckten schließlich auch amerikanische Musiker wie Missy Elliot und Timbaland diesen Sound. Auf einem gelungenen Sampler spendiert das englische Label Outcaste nun einen Überblick dieser musikalischen Verschmelzung. Die Zusammenstellung bewegt sich von Dancefloor-orientierten Tracks mit Ohrwurmqualität, die inzwischen auch ihren Weg in die Werbung gefunden haben, bis hin zu weichen Lowtempo-R'n'B-Nummern. Die letzten Tracks des Samplers tummeln sich auf der elektronischen Spielwiese und eröffnen mit Dub und TripHop-Elementen eine entspannte Chill-Out-Area. Einziges Manko der Zusammenstellung ist der einfallslose und fast schon peinliche Titel: Essential Asian Flavas.

Aus dem gleichen musikalischen Baukasten bedient sich das Spaceport Orkestra Of Benares. Allerdings ist The Ganesh Beat Club Session (PopUp) eher eine wilde Sample-Orgie denn eine wohlgeordnete Bestandsaufnahme. Der Ursprung dieses Unternehmens liegt dabei weder in London, noch in der heiligen Stadt Benares, sondern im verschlafenen und spirituell wenig anregenden oberbayrischen Grenzgebiet. Hier verpackten Andreas Kraus und Tobias Ott Tabla, Maultrommeln, Kalimba und Vibraphon zusammen mit elektronischem Drum'n'Bass, HipHop und Radiosamples zu einem psychedelischen Soundpaket. Daß das Ganze so gut funktioniert, liegt an hunderten atmosphärischen Mikro- und Makrosamples vor einem durchgängig tanzbaren Beatgerüst. Das Beste daran: Der Spaß verliert auch beim x-ten Durchlauf nicht an Intensität.

Vom Heiligen zum Profanen: Ins liebliche, wenn auch nicht weniger psychedelische Italien. In Florenz hat das S.H.A.D.O.-Label seinen Sitz. Nachdem dort unter anderem bereits die Geschichte und Aktualität der Hammond-Orgel erforscht wurde, kommt nun: Ragazza Pop. Eine Ansammlung von „Coolest Attitude Girls, Swingin' Mademoiselles, Accoustic-Chanteusen und Garage-Rock-Goddesses", die alle Gender-TheoretikerInnen ins Schwärmen bringen dürfte. Pop zwischen Easy Listening und Avantgarde. Girlbands – bei denen natürlich auch Jungs mal mitspielen dürfen – die sich zwischen Schrammelpop und Understatement bewegen und mit Zuschreibungen und Identitätsmustern nur so um sich werfen. Dabei reicht das Spektrum von Musikerinnen, die schon in den Sechzigern am Experimentieren waren, wie Mo Tucker mit Velvet Underground, bis hin zu aktuellen deutschen Popperlen wie den Moulinettes. Genau diese Art des Auslotens des musikalischen Horizonts mit dem Hang zum Extravaganten und dazu eine stilsichere Covergestaltung lassen die S.H.A.D.O. Veröffentlichungen zu kleinen Lieblingen im CD-Regal werden.

Marcus Peter

 
 
 
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