Ausgabe 04 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Lernen und alt werden

Vermarktung der Arbeit (IV): Weiterbildung und Altersarbeitslose

„Lernen, Lernen und nochmals Lernen" lautete das Motto, das Lenin schon zu Zeiten der Oktoberrevolution dem Proletariat mit auf den Weg gab und das auch in der DDR oft als fulminantes Schlußwort beim Schulappell herhalten mußte. Dieses schöne Beispiel beweist, daß nicht alles schlecht war im Osten und man durchaus fürs Leben lernen konnte. Auch heutzutage gilt es allerorten, sich zu bilden. Und wenn man arbeitslos ist, zahlt dafür das Arbeitsamt. Das ist toll und richtig, denn zum Lernen ist es nie zu spät. Wenn schon – laut Pisa-Studie – die Schule versagt, dann muß man eben im fortgeschrittenen Alter noch einmal den Schulranzen buckeln. Für die Förderung solcher Weiterbildungsmaßnahmen existieren im Sozialgesetzbuch gesetzliche Vorschriften, an denen im Zuge der Hartz-Reform ebenfalls herumgedoktert wurde.

Bildungsgutscheine

Grundsätzlich gilt auch nach der neuen, seit dem 1. Januar geltenden Gesetzeslage weiterhin, daß die Förderung der beruflichen Weiterbildung nur unter bestimmten Bedingungen möglich ist. Der Antragsteller muß in den letzten drei Jahren mindestens ein Jahr versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sein oder Leistungen vom Arbeitsamt erhalten; die Weiterbildung muß außerdem für notwendig erachtet werden, um die Arbeitslosen beruflich einzugliedern oder eine drohende Arbeitslosigkeit abzuwenden. Auch wegen eines fehlenden Berufsabschlusses kann die Notwendigkeit zur Weiterbildung anerkannt werden.

Zu einer wesentlichen Änderung in diesem Sektor führt jedoch die Einführung sogenannter Bildungsgutscheine. Hintergedanke dieser Reform war es, den Lernwilligen eine größere Wahlfreiheit und Eigenverantwortung zuzugestehen und den Wettbewerb zwischen den Bildungsträgern zu fördern. Der Bildungsgutschein enthält zunächst einen Bescheid, daß die gesetzlichen Voraussetzungen der Förderung vorliegen. Außerdem gibt er die Rahmenvorgaben zur maximalen Weiterbildungsdauer, Bildungsziel und -schwerpunkte sowie den Förderungshöchstbetrag an. Innerhalb dieser Vorgaben kann sich der stolze Gutscheininhaber eine Bildungsmaßnahme frei aussuchen. Liegen die tatsächlichen Kosten über dem Förderungshöchstbetrag, kann der Gutschein trotzdem eingelöst werden, der Betroffene muß nur die Differenz bezahlen.

Geprüfte Bildungsträger

Um die Angebotsqualität sicherzustellen, wurden die Bildungsträger bisher durch das Arbeitsamt geprüft, künftig prüfen externe private Zertifizierungsstellen, deren Fachkunde zur Qualitätsprüfung wiederum der Staat auf Bundesebene prüft. Durch diese Prüfungsrochade werden die Arbeitsämter deutlich entlastet.

Sicherlich wird die künftige Trennung von Entscheidungen über die Förderung vom Arbeitsamt, die Zulassung von Trägern durch Zertifizierungsagenturen und die Ausgabe von Bildungsgutscheinen bis zu einem gewissen Grad eine größere Objektivität und damit auch mehr Wettbewerb gewährleisten. Davon könnte nicht nur die Werbebranche profitieren, sondern möglicherweise tatsächlich die Qualität der Weiterbildungsangebote steigen. Jedoch bedeutet die neue Struktur einen erheblich größeren Verwaltungsaufwand. Es bleibt abzuwarten, ob die positiven Auswirkungen dieser Regelung den Mehraufwand rechtfertigen. Gut gemeint ist die Unterstützung eigenverantwortlicher Initiativen der Weiterbildungswilligen allemal, auch wenn die Auswahl aufgrund der Einschränkungsmöglichkeiten des Arbeitsamtes letztendlich wohl nicht so riesig sein wird.

Anreize für ältere Arbeitslose

Ein weiterer zentraler Punkt der Arbeitsmarktreform ist der zukünftige Umgang mit „älteren" Arbeitslosen, die nunmehr als eigenständige soziale (Rand)Gruppe definiert sind. Gemeint sind die über 50jährigen, deren Arbeitskraft nach heutigen betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten keinen errechenbaren Nutzen besitzt. Der Gesetzgeber hat auf die gesellschaftliche Realität, die Arbeitslosen diesen Alters generell keine Chance mehr einräumt, reagiert und sie gleich verfestigt ­ anstatt dem Trend durch gezielte Wiedereingliederungsmaßnahmen für über 50jährige entgegenzuwirken, was angesichts der demografischen Entwicklung bitter nötig wäre.

So können Arbeitslose ab dem 50. Lebensjahr neuerdings Zuschüsse zur Einkommenssicherung beantragen, wenn sie eine Tätigkeit aufnehmen, deren Entlohnung geringer ausfällt als das bisher erhaltene Arbeitslosengeld. In solchen Fällen soll die Differenz zwischen Lohn und Arbeitslosengeld teilweise ausgeglichen werden. Immerhin 50 Prozent der sogenannten „Nettoentgeltdifferenz" erhalten ältere Arbeitslose ­ für die Dauer ihres Leistungsanspruches ­ als Zuschuß. Wer geht da nicht gerne arbeiten?

Ältere Menschen eignen sich eben besonders gut als Billigarbeiter. Um dieser Erkenntnis vollends zum Durchbruch zu verhelfen, werden Betriebe, die einen über 55jährigen Arbeitslosen innerhalb der nächsten drei Jahre einstellen, von der Beitragspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung freigestellt. Damit man die Alten auch leichter wieder los wird, wird auch die befristete Beschäftigung ausgeweitet: Eine „sachgrundlose Befristung" ist nun nicht erst ab dem 58., sondern schon ab dem 52. Lebensjahr zulässig.

Der ursprüngliche Gesetzesentwurf der Bundesregierung enthielt noch ein weiteres Modul, das es älteren Arbeitern ermöglicht hätte, aus der Betreuung der Arbeitsämter auszuscheiden und stattdessen eine kostenneutrale monatliche Leistung plus den vollen Schutz der Sozialversicherung zu erhalten: das sogenannte Brückengeld. Dieser Vorschlag wurde aber bei den Verhandlungen im Vermittlungsausschuß gestrichen. Kritisiert wurde die zugrundeliegende Sichtweise, die ältere Arbeitnehmer als vermindert leistungsfähig erscheinen lasse. Befürchtet wurde eine falsche Signalwirkung, da somit angeblich die „Frühverrentungsmentalität" gefördert und auch der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften in einzelnen Berufsfeldern verschärft werde.

Abgesehen davon, daß die inhumane Sichtweise allein schon durch die restlichen Neuregelungen ausreichend verdeutlicht wird, tritt auch hier die Einstellung zutage, wonach Arbeitsuchende von vornherein als arbeitsunwillig und offenbar vor allem Ältere als potentielle Rentenneurotiker gelten. Dabei wird übersehen, daß der Arbeitsmarkt selbst Menschen ab einer gewissen Altersgrenze ausgrenzt und erst dadurch eine finanzielle Unterstützung ­ beispielsweise durch das Brückengeld ­ erforderlich macht, um Altersarmut zu vermeiden. Über die Höhe der finanziellen Unterstützung mag man verschiedener Meinung sein, das Prinzip der Solidarität selbst infrage zu stellen, ist skandalös. Wer das tut, sollte entweder viele Kinder in die Welt setzen, die in Dritte-Welt-Manier die Eltern versorgen können ­ oder sich an die Entwicklung eines Verjüngungsmittels machen.

Berit von Kurnatowski

 
 
 
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