Ausgabe 03 - 2003

berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Wir armen Feuilletonisten überleben uns nicht

Der Verlag Das Arsenal legt Victor Auburtin neu auf

Victor Aubertin war zu Lebzeiten einer der namhaftesten Feuilletonisten Berlins. Heute ist er kaum noch bekannt. Für das Berliner Tageblatt verfaßte Aubertin seine Causerien „Unterm Strich", die jeden dritten Tag erschienen und zu seinem Markenzeichen wurden. Neben Kerr und Polgar gehörte er zu den angesehensten Feuilletonisten seiner Zeit. Am 5. September 1870 in Berlin als Sohn eines französischen Einwanderers und einer böhmischen Schauspielerin geboren, fiel ihm, dem leisen Reporter, dem „homme des lettres paresseux", wie ihn ein Freund nannte, nicht die Rolle des rasenden, nach Sensationen suchenden Berichterstatters zu. Nach seinem Philologiestudium beginnt er 1906 als Feuilletonredakteur beim Berliner Börsen-Courier seine literarische Laufbahn, wechselt dann zum liberalen Simplicissimus, wo sein Schreibstil stetig an ProÞl und Prägnanz gewinnt.

Als er schließlich 1911 zum renommierten, von Theodor Wolff geleiteten Berliner Tageblatt wechseln kann, scheint Auburtin seinem Ziel, Reisen und Schreiben zu vereinen, näher denn je. Aus dem satirischen und melancholischen Moralisten wird ein ernstzunehmender Auslandskorrespondent. Er bereist etliche Länder und berichtet darüber. Von 1911 bis 1914 arbeitet er in Paris, zwischen 1917 und 1921 weilt er in Genf und Bern, es folgen Madrid und schließlich Rom. Dort stirbt er 1928.

Die Themen, denen Aubertin Aufmerksamkeit schenkt, sind alltägliche Geschehnisse, denen der Auburtinsche Fokus jene Tragweite verleiht, um derentwillen sie dem Leser bedeutsam erscheinen. Es ist diese Mischung aus Schwermut und leisem Kulturpessimismus, besser: einem gesunden Mißtrauen dem aufkommenden Chauvinismus und blinder Technikanbetung gegenüber, die diesen Miniaturen des Augenblicks eine reizvolle Modernität verleiht und sie als hochrangige Texte qualifiziert.

Seit 1977 gibt der Verleger Peter Moses-Krause in seinem Arsenal nur solche Bücher heraus, die ihn persönlich interessieren – ein exzentrischer Luxus in einer Zeit des schnellen und gefälligen Bücherproduzierens. „Somit kann es bei uns nur wenige Neuerscheinungen im Jahr geben", erläutert er und verdeutlicht seine Einstellung mit einem Bonmot, dem zufolge der Aufrichtige nicht sein Wort halten könne: „Deshalb kann es noch einige Zeit dauern, bis Auburtins Werkausgabe ihren Abschluß findet, zum Leidwesen vieler Leser und meinem." Jedoch soll sie spätestens 2006 abgeschlossen sein, woran im Verlag keiner zweifelt.

Es mag wie eine böse Prophezeiung klingen, was Auburtin über die eigene Zunft geäußert hat; lakonisch heißt es: „Wir armen Feuilletonisten überleben uns nicht". Er scheint damit sehr lange recht behalten zu haben.

Norbert Joseph Krahlenburg

> Von Victor Aubertin erschien zuletzt: Abenteuer mit Fräuleins, Verlag Das Arsenal, Berlin 2001. 9 Euro.

 
 
 
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