Ausgabe 03 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag
 

Jeder Künstler ist ein Mensch

Zur Musealisierung von Martin Kippenbergers Werk

Gleich beim Betreten des Ausstellungsraums beschleicht mich das Gefühl, hier nichts mehr wiederzufinden von der Erinnerung an eine von Kippenberger selbst ausgerichtete Ausstellung. Mit einem Halbrundblick vom Kassentresen aus ist alles zu sehen: das Spiderman-Atelier, die Alkoholiker-Laternen, der „Birkenwald", der gebastelte Container mit den zerhackten Leinwänden, „Familie Hunger", die Installation „Tiefes Kehlchen", viele Gemälde, die ich zum Großteil nur aus dem schönen, am Restpostentisch erstandenen Taschen-Katalog kenne.

Worin besteht das komische Gefühl? Die Ausstellung heißt Das 2. Sein. Als Logobild fungiert ein Selbstporträt, das Kippenberger der Länge nach gedrittelt zeigt: ein Drittel als Skelett, zwei Drittel lebendig, grinsend mit Orange und Sonnenbrille. Vor dem Originalgemälde stehend („Ohne Titel", 1988) wünsche ich mir um alle Bilder dicke vergoldete Rahmen und riesige Bildunterschriften wie „Die Erfindung eines Witzes" oder „Schrebergarten abstrakt". Die Dame, die mit unglaublicher Lautstärke Kassenbonpapierschlangen produziert, sollte mit dem rechteckigen Tresenmöbel in der Mitte des Raums stehen.

Was wird hier gespielt? Götz Adriani rechtfertigt gleich im ersten Katalogsatz den Ausstellungstitel damit, daß Kippenberger selbst eine zu seinen Lebzeiten veranstaltete Retrospektive (1992 in Potsdam) mit Das 2. Sein überschrieben habe. Im damaligen Kontext eröffnete dieser Titel viele Lesarten und formulierte die für Kippenberger wichtige Frage: Wie lebe ich mit der Zwangsläufigkeit der eigenen vorangetriebenen Musealisierung und Katalogisierung weiter? Diese Frage scheint hier zusammenzuschnurren auf die einfache brutale Formel, die mit der Faktizität seines frühen Todes untermauert wird: Hier hat sich einer zu schnell und zu sehr verschwendet, da seht ihr, wo das hinführt, jetzt hängt er im Museum. Ich frage mich: Soll derjenige, der die Verwurstelungen der Kunstproduktion und -veröffentlichung auseinandergenommen hat wie kein Anderer aus der Generation der „Neuen Wilden", heute mit den eigenen Waffen geschlagen werden?

Martin Kippenberger war kein Zyniker ­ schon gar nicht in dem Sinn, daß er zwischenmenschliche Verhältnisse schlechter als notwendig dargestellt hätte. Er hat seine Aufgabe ­ er würde sagen: seinen Beruf ­ ernst genommen. Das heißt, er hat versucht, ein Bild davon zu geben, wie die Welt aussieht, wenn man den eigenen Gefühlen vertraut. Da müssen notwendigerweise auch negative Gefühle aufkommen, viele negative Gefühle vielleicht sogar. Wohin sich das Werk aber im Einzelnen und im Ganzen bewegt, das ist alles andere als (selbst)zerstörerisch, das sieht man auf den ersten Blick.

Ich gehe um das zentral im Ausstellungsraum platzierte Spiderman-Atelier herum und muß an Spitzweg denken. Weniger in der Form eines kunsthistorischen Vergleichs mit dem „Armen Poeten", als vielmehr in dem Sinn, daß der Ausstellungsort mit all seinen eitlen, im Katalogvor- und nachsatz abgedruckten Repräsentationsattributen (wir befinden uns im ZKM, Deutschlands finanzkräftigster Propagandazentrale für „Virtuelle Realität") doch einen Sinn erfüllt: Er bildet exakt das restaurative Biedermeier ab, das seit Kippenbergers Tod 1997 weiter vervollständigt wurde. Die im Ausstellungstitel zynisch gefeierte Abwesenheit des Künstlers wird vor diesem Hintergrund noch schmerzhafter offensichtlich.

Vom ehemaligen Arbeits- zum Freizeitraum umoperiert (Kippenberger hat immer auf den Arbeitsaspekt seines Kunstmachens gepocht), repräsentiert der Ausstellungsort ein zeitgemäßes „Außen", das im Layout und in den Texten des Katalogs noch deutlicher greifbar wird. Ich bin mir sicher, daß das Katalogdesign in den neoliberalen FDP-Farben als „Freudscher Versprecher" beim Herumspielen auf der Photoshop-Farbpalette zu werten ist. Daß das niemand rechtzeitig gemerkt hat und daß darüber hinaus der Katalogtext des für die Ausstellung verantwortlich zeichnenden Ralph Melcher – scheinbar auch ohne es zu merken – im Kern nichts als negative Zuschreibungen für Kippenbergers Arbeit bereithält („manisches Ringen", „kompromißloses Allesfressen", „krude Formensprache", „unterschwellige Aggression", „Redundanz der Information"), läßt darauf schließen, daß bei einigen professionellen Kunstverwaltern die bildnerische Intelligenz auf einer Schwundstufe angelangt ist, die – ganz im Gegensatz zu Kippenbergers Bildwitz – nur noch die Projektion der eigenen Verwirrung auf andere zu leisten vermag.

Friedrich Wolfram Heubach hat zuerst auch nur das „Lauthalse" und die „Fehler der Flüchtigkeit" an Kippenberger gesehen. Interessant an seinem Katalogtext ist, daß er einige grundsätzliche Probleme der Rezeption und Beurteilung von Bildern aufzeigt, die sich ­ wie im Fall von Kippenberger ­ resistenter erweisen gegenüber Diskursen, die nur auf schnelle und eindeutige Bildinterpretation setzen. Auch Heubach bleibt bei der Psychologisierung und am Ende bei der religiösen Emphase stehen, indem er Kippenberger zum „ausgesetzten", unschuldigen Kind regredieren läßt, das nur von allen geliebt werden will.

Ziel der Texte scheint durchgängig zu sein, jeden (aktuellen) gesellschaftlichen Bezug zu vermeiden und die politische Bedeutung der Kunst Kippenbergers ­ in jedem möglichen Sinn des Begriffs, d.h. von der ganz alltäglichen (Bild-)Zeitungspolitik bis hin zu einem abstrakten philosophischen Politikverständnis ­ abzuschneiden. Es lohnt sich, in dem Interviewbuch B, das 1994 zur Ausstellung The Happy End of Franz Kafka's Amerika erschienen ist, nachzulesen, wie Kippenberger ­ als geistiger Nachfahre Karl Rossmanns ­ vormacht, was politisches Denken während, vor und nach dem (Kunst-)Produzieren innerhalb eines globalisierten Marktes sein kann.

Was ist wichtig an seiner Malerei? Sie ist immer einfach und direkt – angefangen bei den schwarzweißen, kleinformatigen Bildern aus der Serie „Uno di voi, un tedesco in Firenze" (1976) bis zu den späten Schiffbrüchigen-Bildern nach Géricault (1996). Sie will etwas zeigen, scheut sich nicht, auch etwas zu „sagen". Sie bleibt bei aller plakativen Inhaltlichkeit immer „reinste Malerei" und versteigt sich bei aller Übersetzung (im Cézanneschen Sinn) nie zur Meta-Malerei. Sie wird als Projekt verstanden und praktiziert, d.h. sie ist nicht mehr als lebenslange Beschäftigung garantiert, sondern kann jederzeit einbrechen und abreißen. Jeder Neubeginn muß persönlich motiviert werden. Sie denkt die auf technischem Weg hergestellten Bilder mit und macht die gesellschaftlichen Wirkungen des „medialen Fortschritts" sichtbar. Sie sucht und provoziert den „klassischen Vergleich" und hält die Balance, ganz im Jetzt stattfinden zu müssen.

An zwei Beispielen soll ihre inhaltlich-politische Bedeutung ­ verdeckt durch etablierte Interpretationsmuster ­ aufgezeigt werden.

Erstes Thema: Deutsche Geschichte. Es bedarf gewaltiger Seh- und Projektionsanstrengung, um in den bunten, holzscheitartig übereinandergeworfenen Trümmerformen des Gemäldes „Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz entdecken" (1984) noch die Reste der im Titel bezeichneten symbolischen Form ausfindig zu machen. Was unterscheidet Kippenbergers Malerei von den thematisch ähnlichen Bildern eines Anselm Kiefer, eines Werner Büttner oder Albert Oehlen? Sie ist, wie er selber sagt, „nicht falsch auslegbar". Seine Malerei kokettiert nicht an falscher Stelle. In Kippenbergers Bildern – nicht nur in denen, die explizit auf den Nationalsozialismus anspielen – wird mit vergangenem Grusel kein ästhetischer Mehrwert geschaffen in einem Jetzt, das die modernisierten Ursachen der Gewaltherrschaft weiterhin in sich trägt.

Zweites Thema: Sexuelle Identität. Nach gängiger Interpretationslogik setzt das Frauenporträt „Die sympathische Kommunistin" (1983) auf das Provokationspotential eines damals wie heute diskreditierten „Unrechtsregimes". Was wäre, wenn in dem liebevollen Porträt auch die Möglichkeit einer – nicht nur individuellen – Emanzipation von ungerechten Rollenverteilungen unter anderen gesellschaftlichen Voraussetzungen aufbewahrt wäre? Kippenbergers Kommunistin ist auch die subversive Wunschprojektion aus der westlichen Sphäre der Mann-Frau-Psychodramen à la „Bitte Sibille spinn nicht rum" (1981). Das eigene Geschlecht gerät ihm vorsätzlich immer mit ins Schußfeld. Er wußte von Marguerite Duras' Hexenweisheit, daß alle Männer sowieso schwul seien. Trotzdem gründet seine malerische Potenz weder auf zwangsheterosexuellen Kraftphantasien, noch affirmiert sie – als schwuler Camp – ein gender-gemainstreamtes, geschlechtergetrenntes Leben.

Zurück zur Frage, warum in der derzeitigen Kippenberger-Rezeption alles Politische so vehement verneint werden muß und die gesellschaftlich restaurative Situation dabei umso deutlicher aufscheint. Die Antwort findet sich mit unverblümter Direktheit im Katalog der Karlsruher Ausstellung. 1979 hat Kippenberger mit Achim Schächtele auf einer USA-Reise die Bilderserie „Knechte des Tourismus" aufgenommen. Eines der Fotos zeigt ihn vor dem World Trade Center. Andreas Schalhorn, der Mitorganisator der Ausstellung, schreibt dazu: „Lässig stützt sich der von seinem Reisegefährten abgelichtete Künstler auf eine senkrecht aufgestellte Bombe. Der Betrachter wird diese – auch wenn es sich nur um eine Attrappe handelt – mit einem möglichen Anschlag auf die Twin Towers in Verbindung bringen. Der New York-Besucher erweist sich damit nicht als ,Knecht des Tourismus' , sondern als vermeintlicher ,Knecht des Terrorismus'. Dabei ging es Kippenberger allerdings nicht um die Politisierung seiner Kunst. Die Provokation zielt vielmehr auf die für den Künstler typische spielerische Zurschaustellung seiner eigenen Person."

Kippenbergers Werk soll als formalästhetisch innovative, aber zum Tod des Menschen führende Künstleridentitätskrise interpretiert und abgelegt werden. Damit wird einem Kunstbegriff das Wort geredet, der jede gesellschaftlich reflexive Relevanz künstlerischer Arbeit abschafft. Kippenbergers Bilder, Skulpturen und Installationen sind stark genug, dem zu widersprechen. Die Vorgaben allerdings, die mit dieser Art der Katalogisierung und Musealisierung für die gegenwärtige und zukünftige Produktion und Rezeption von Bildern zementiert werden sollen, sind fatal.

Stefan Hayn

> Martin Kippenberger (1953-1997) wäre am 25. Februar 50 geworden. Aus diesem Anlaß zeigt das Museum für Neue Kunst in Karlsruhe noch bis zum 27. April die erste große Retrospektive nach seinem Tod. Sein umfangreiches zeichnerisches Werk wird vom 16. April bis zum 22. Juni in der Kunsthalle in Tübingen zu sehen sein.

 
 
 
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