Ausgabe 01 - 2003 berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis

Impressum


Zur Homepage

Altfälle

Berliner Libanon-Flüchtlinge zwischen Duldung und Abschiebung

Nachdem das neue Einwanderungsgesetz Ende 2002 nicht seinen Weg in die Gesetzbücher fand, läßt auch eine Neuregelung für die in Berlin lebenden Flüchtlinge aus den nahöstlichen Bürgerkriegsgebieten auf sich warten, die zum Teil schon seit Jahren darauf hoffen, eine Aufenthaltserlaubnis in Deutschland zu erlangen. In Mitte leben etwa 5000 Palästinenser, Libanesen und Kurden, viele von ihnen seit Jahren ohne gesicherten Status.

Besonders Palästinenser aus dem Libanon hatten es schwer, da deren Familien doppelt vertrieben wurden, zunächst aus den besetzten Gebieten, dann, nachdem 1975 der Bürgerkrieg im Libanon ausbrach, auch von dort, wo sie nurmehr geduldet waren und heute gesellschaftlich diskriminiert werden. Viele Libanesen geben den Palästinensern bis heute die Schuld am blutigen Bürgerkrieg, der bis 1991 dauerte. Die meisten Flüchtlinge stellten nach ihrer Ankunft in Deutschland einen Asylantrag, der kaum Aussicht auf Erfolg hatte. Berlin war bundesweit Vorreiter, indem es diesen Flüchtlingen immerhin eine sofortige Duldung erteilte: ein rechtsunsicherer Status, der in kurzen Abständen erneuert werden muß, jederzeit entzogen werden kann und es unmöglich macht, das eigene Leben über länger als ein Jahr zu planen.

Wer wie der Palästinenser Ahmad El-S. 1991 über Beirut nach Berlin kam, einen Asylantrag stellte und die Duldung erhielt, hatte keine Aussicht auf Erhalt der Aufenthaltsbefugnis, die ihm eine Arbeitserlaubnis erbracht hätte. Freunde rieten Ahmad, doch einfach zu heiraten. „Ich mach das nicht," sagte er zunächst. Jetzt hat er doch geheiratet, aber nicht standesamtlich, sondern nur vor dem Imam, also ohne Auswirkung auf den Aufenthaltsstatus. Ahmad lebt riskant: Während den Palästinensern aus den besetzten Gebieten nicht zugemutet werden sollte zurückzukehren, sieht die noch nicht entschiedene neue „Altfall-Regelung" für ledige, nach 1990 eingereiste und dann geduldete Libanon-Flüchtlinge eine Rückkehr in den Libanon oder gar nach Syrien vor; beide Länder werden als sicher betrachtet.

Anderen, wie dem Libanesen Elie S., erging es besser. Er erhielt eine befristete Aufenthaltsbefugnis, später sogar eine unbefristete. Aber sein Betriebswirtschaftsstudium konnte er nicht fortsetzen. „Beantragen Sie vom Libanon aus ein Studentenvisum", hieß es. Auch Deutschkurse hätte er selbst bezahlen müssen. So arbeitete er bei McDonalds und lernte dort Deutsch zwischen Milchshakes und Hamburgern. In den nächsten Jahren könnte er die Staatsbürgerschaft beantragen, doch irgendwie ist die Luft raus.

Auch Familien haben es schwer. Die Lebensverhältnisse der oft kinderreichen Familien seien schwierig, erzählt Mahmoud El-Hussein von der Arabischen Eltern-Union, die im Weddinger Nachbarschaftshaus in der Prinzenallee ihren Sitz hat. Die Union berät seit über zehn Jahren Migranten bei Problemen in Asyl- und Aufenthaltsfragen wie auch im Umgang mit Behörden und betreut unbegleitete minderjährige Asylbewerber. Vielfach hätten diese Familien jahrelang beengt in Asylbewerberunterkünften gewohnt, finanziell vom Staat abhängig. Die Änderung der Asylgesetzgebung 1994 und verschiedene andere Maßnahmen hätten jedoch seit dem Jahr 2000 etwa der Hälfte der Familien zu einer auf jeweils zwei Jahre befristeten Aufenthaltsbefugnis verholfen. Die Wohnsituation hat sich dadurch gebessert, ein Anrecht auf Kinder- oder Erziehungsgeld besteht allerdings weiterhin nicht.

Auch bei den Kindern spiegelt sich der rechtliche Schwebezustand wider. Der Einstieg in die Schule ist für arabischsprachige Kinder eine große Hürde. Zuhause wird der lokale Dialekt gesprochen, das Lesen und Schreiben von Hocharabisch ­ fast eine Fremdsprache ­ lernt man in arabischen Ländern erst in der Schule. Die Rückkehr von Familien mit schulpflichtigen Kindern ist deshalb so schwierig, weil die Kinder kaum mehr in das dortige Schulsystem zu integrieren sind. Das Bildungsangebot für Arabisch in Berlin ist gering, und die Teilnahme muß selbst finanziert werden. Die Kurse kosten pro Kind rund 15 Euro im Monat, für viele Familien ist dies gerade noch tragbar.

Häufig mit rudimentären Deutschkenntnissen eingeschult, landet ein Großteil der Kinder auf Haupt- oder Sonderschulen, den Abschluß schaffen viele nicht. Die Chancenlosigkeit dieser Kinder wird auch von der Abwanderung der deutschen Bevölkerung aus dem Wedding bedingt. In den Schulklassen gibt es manchmal nur zwei muttersprachlich deutsche Kinder. „Ich wünsche mir mehr Deutsche an die Schule", sagt ein palästinensisches Mädchen in Denn sie wissen viel zu sagen, einem Dokumentarfilm von Ingrid Macziey, den die Arabische Eltern-Union zusammen mit dem Nachbarschaftshaus in Auftrag gegeben hat.

„Die ältere Generation hängt noch zwischen den beiden Kulturen, aber die Jüngeren, die sind hier geboren, die wollen dazugehören", meint El-Hussein. Libanesen, denen die Duldung nicht bewilligt wurde, würden schnell in die Illegalität gezwungen, eher als Palästinenser, sagt er. Andererseits wurden überdurchschnittlich viele eingebürgert oder sind binational verheiratet. Es steht zu hoffen, daß im Zuge der Verabschiedung des Einwanderungsgesetzes eine großzügige Regelung für die Flüchtlinge gefunden wird, um ihnen endlich eine sichere Perspektive zu ermöglichen.

Katja Brinkmann

© scheinschlag 2003
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 01 - 2003