Ausgabe 11 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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New York ist kein sicherer Hafen mehr

Eine Begegnung mit dem amerikanischen Künstler Robert Reitzfeld

Das eine ist, die Flagge der USA so zu zeigen, als wäre sie schweren Wettern ausgesetzt worden. Wie es Jasper Johns tat. In den Zeiten des Cold War. Der Kommunistenhatz eines McCarthy. Der militärischen Beihilfe für Frankreichs Kolonialträume. Was zur Auslöschung dieses ostasiatischen Paradieses führte, das wir aus dem Kino sowieso nur mehr als Schlachtfeld kennen. Vietnam war ein Begriff geworden, kein Land mehr. Offenbar existiert eine Art Topos im menschlichen Erinnern, der sich nur schwer ersetzen läßt. Dabei habe ich das zwingende Gefühl, es könnte eine bessere Weise erfunden werden, menschliche Abgründe zu benennen.

Manchmal liegt eine Bürde auf einem Zeichen. Es verliert an Wirkkraft, wenn es nicht zu einem findet, sondern dir angeheftet wird. Es kommt auf den Glauben auf Begriffe, Worte, Zeichen an. Ein Versprechen ist nur ein Versprechen, wenn es geglaubt wird. Wir glauben der amerikanischen Flagge von Johns, weil wir gefühlt hatten, daß er uns ein genaueres, anderes Bild der USA zeigen wollte. Wenn der Regenschirm auf der Wettertafel erscheint, glauben wir vielleicht an Regen.

Das andere ist, daß Singin' In The Rain trotz der Analogien seiner Arbeit zu der von Johns auch einer der Lieblingsfilme von Robert Reitzfeld ist. Vier Blocks entfernt vom World Trade Center erschütterte ihn ein kleines Erdbeben, das ihn aus dem New York der sechziger Jahre direkt in das Hawaii von 1941 katapultierte. New War, New World. Das ist zeitlos gültig. In New York aber neu. Pearl Habour bedeutete damals, daß Japaner von Amerika verfolgt wurden. Von L.A. bis Bataan und Nagasaki. Nine-Eleven bedeutet etwas anderes. Die Documenta hat dazu kübelweise Erklärungschiffren über die Suchenden ausgeschüttet. New York ist kein sicherer Hafen mehr, kein Ort mehr für offene Existenzen. Robert erzählt, wie er den Gedenktag zum Anschlag miterlebte ­ mehr Militärparade als Trauerfeier.

Er selbst zeigte im Herbst im Kunstproject in der Gneisenaustraße Aquarelle und gestickte Decken, sogenannte Quilts, ein Brauch aus England, der von Einwanderern nach Amerika gebracht wurde. Die Blätter und Quilts wurden ausnahmslos von einem zum Ornament transformierten Stealthbomber-Logo be-herrscht. Stealth steht für unbemerkt, heimlich. Das immens teure Ding ist für Radarfallen nämlich unsichtbar, auch wenn es mit dem Fliegen bekanntlich etwas hapert. Daß das Ornament aus Bomber-Zeichen mal ins Hakenkreuzklischee, mal ins Schulfoyerhafte variiert, amüsierte einige Betrachter. Banaler Kitsch ist Robert Reitzfeld als Mittel nur recht und billig.

Wenn er über die Tradition des Quilt nachdenkt, fühlt er ihn wohl als einen authentischen Fetisch, der seine wärmende, schützende Aura in die Ausstellung tragen soll. Dieses abstrakte Fühlen von Schutz durch Waffen ­ hier ist's der Tarnkappenbomber ­ korrespondiert auf perverse Weise aufrichtig mit dem unmittelbaren Gefühl des Schutzes durch eine wärmende Decke. Robert Reitzfeld verbindet seine Zeichen mit kollektiven Mythen, überläßt sie nicht einem neutraleren Trägermaterial. So wirken seine Bomber-Ansteck-Buttons noch genauso folky, naiv, bezaubernd wie die anderen Dinge. Ein billiges Reiten auf der Amerika-Trauma-Analyse-Welle kann ich ihm nicht unterstellen. Er ist lange mit dieser Idee herumgelaufen. Mit dem simplen Gedanken, Schwerter zu Pflugscharen zu machen, ist er ans Werk geschritten. Jetzt sitzt er mitten in einer Vorkriegsstimmung/einem Nach-Terror-Kunstmarkt und macht einen ziemlich resignierten Eindruck. Es sei sehr schwierig geworden, auch in NYC, seine Meinung zur Politik zu sagen, ohne als unpatriotisch angeprangert zu werden, sagt er. Seine etwas übervorsichtige Haltung, wenn er George Bush charmant mit „not very bright" charakterisiert, unterstreicht das. Soll ich sagen, Robert, geh' ruhig aus dir heraus, wir sind doch in Berlin ­ als ob es hier besser wäre. Robert Reitzfeld ist nicht der Typ Protest-Ikone, dahin strebt er gewiß nicht.

Mr. Reitzfeld reist bald nach Japan und ist im Netz unter www.rtzfld.com aufzufinden.

Jörg Gruneberg

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