Ausgabe 11 - 2002 berliner stadtzeitung
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Über die Arbeit eines Heroindealers

Zoël ist fit. Er raucht nicht, trinkt nicht, keine Drogen, auch den Ramadan begeht er gemäß seiner Religion. Da er sich täglich rasiert, wirkt er tatsächlich viel jünger als er ist (eigene Angabe 21). Er ist der naiven Ansicht, daß er sich bei einer Verhaftung als Jugendlicher ausgeben kann und glimpflicher davonkommt. Er liebe die Stadt, Oran sei so schön, doch unmöglich zu bewohnen, wie man es sich in Berlin vorstelle. Über die Organisation, die den Jungs aus Libyen, Algerien und Palästina eine Wohnung in einer westeuropäischen Stadt vermittelt, um sie dort zum Straßenverkauf von gestrecktem Heroin zu verpflichten, sagt er noch weniger, als er weiß.

1994 sei er mit seinem großen Bruder über Italien nach Deutschland gekommen. Die Passage scheint strapaziös gewesen zu sein; auf nähere Fragen antwortet er nur mit einem seltsamen Lachen. In besserer Erinnerung sind ihm seine ersten Jahre in Leipzig geblieben, das bis 1999 ein El Dorado für den Drogenmarkt gewesen zu sein scheint. Zwar wurden viele Ecken der Altstadt videoüberwacht, doch man kannte die toten Winkel und konnte auch am hellichten Tag verkaufen. Man mußte sich nicht telefonisch verabreden, sondern abwarten, bis die Kundschaft kam, und das tat sie, durchgehend. Wer als Händler nicht schnell genug rennen konnte, wurde für maximal ein halbes Jahr eingelocht und konnte anschließend weiterarbeiten. Allerdings mit erhöhter Wachsamkeit.

Dann muß ein neues Polizeigesetz erdacht worden sein, woraufhin nach enormen Razzien alle Dealer verschwanden. Zumindest insoweit, daß man sie nicht mehr sah. Eine Weile taumelten Scharen von Junkies suchend durch die Straßen, bis sich ein neuer, härterer Handelsring etablierte, den man nur noch auf Absprache in äußeren Stadtbezirken kontaktieren konnte. Die wenigen von Zoëls Kollegen, die noch übrig waren, wechselten das Revier, so auch er, der nach Berlin zog. Sein Bruder, ehemals Mathelehrer in Oran, kam mit vielen anderen in die Leipziger Erich-Kästner-Straße, den Knast. Dann wurde er nach Algier geflogen, angeblich ist er jetzt wieder in der EU. Wo genau, müsse ich nicht wissen.

Die Frage liegt nahe, ob nicht zumindest die arabischen Landsleute brutal reagieren, wenn man als neuer Dealer in Berlin aufkreuzt. Zoël zufolge aber herrscht unter seinen Konkurrenten eine solche Fluktuation, daß man schon nach wenigen Wochen Fuß gefaßt hat. Er zeigt mir den Ansatz einer langen Narbe in der Schulter. Richtig stressig seien Franfurt/Main, Halle/Saale und die norddeutschen Städte. Auf ein Dorf will er ohnehin nicht. Die sind immer voll besetzt. In Berlin kommt und geht man. Überhaupt sei es als Illegaler in Deutschland unendlich angenehmer zu leben, als legal in Algerien.

Interessant scheint mir, daß es ausgerechnet immer Araber sind, die man an den Plätzen feilbieten sieht. Über meine Vermutung, sie wollen in Allahs Namen das Abendland verderben, amüsiert sich Zoël herzlich. Araber sind es eher in Ostdeutschland, im Westen oft Albaner, Deutsche, Italiener und so fort. Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Wo es Menschen gibt, philosophiert er, gibt es auch Drogen. Und Prostitution und Krieg und Frieden. Da helfen keine Gesetze, man könne ja auch schlechtes Wetter nicht verbieten.

Täglich teilt Zoël durch sein pausenlos läutendes Handy seinen Kunden Zeit und Ort mit, meist eine lieblose Grünanlage in Friedrichshain oder Mitte gegen 1 Uhr. Dort erscheinen mal fünf, mal fast fünfzig Gestalten überpünktlich. Er selbst trifft verzögert an der Sammelstelle ein, wird rasch umstellt und schlägt seine Rationen los. Die über Geldmangel klagen, bekommen, sofern Stammkunden, prompt eine kleine Portion „auf Kredit", also gratis. Das ist üblich, um Junkies warm zu halten, bis sie sich, auf welche Weise auch immer, Geld verschaffen können.

Nach mehreren Tagen aber fällt mir auf, daß Zoël zuweilen fast die Hälfte seines Vorrats verschenkt, manche Süchtige durch eine ganze Woche umsonst versorgt. Teenies, die nicht aussehen, als erlebten sie das nächste Ostern noch. Nachdem der Troß abgezogen ist, läßt er unfreiwillig sein Gewissen durchscheinen. Er könne denen nur so helfen, wisse aber auch, daß sie ohne ihn nicht krank seien, das Material sei so scheiße, zwei Prozent Heroin („Stein"), der Rest („Produit") sei noch giftiger. Auf die Frage, was er täte, falls man eines Tages harte Drogen irgendwie legalisieren würden, sagt er, daß es den Leuten besser ginge, da das Material dann sicher nicht mehr gestreckt würde wie jetzt. Es wäre ja auch nicht so teuer. Er selbst hätte kein Einkommen mehr, aber längst genug Geld, um sich und seine Familie nach Tunesien zu bringen.

Nachdem wir uns verabschieden, tritt ein orientalischer Jugendlicher vor mich, der mich offenbar für einen Kunden hält. Zunächst verstehe ich ihn kaum, da er mit vollem Mund spricht. Er empfiehlt mir sein wirklich gutes Material, öffnet dann den Mund und präsentiert mir zehn bis 15 weiße Kugeln, die auf seiner Zunge als Ladentheke ausliegen. Dabei grinst er, ich winke ab.

Roland Kirberg

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