Ausgabe 11 - 2002 berliner stadtzeitung
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Ästhetische Fremdkörper

Der Schwarze Kanal soll schon wieder weiterziehen

Für die Bewohner der Wagenburg „Schwarzer Kanal" hört der Streß nicht auf. Laut einem Beschluß des Berliner Verwaltungsgerichts vom 22. Oktober müssen sie ihren neuen Stellplatz an der Köpenicker Straße 54, den sie erst im September bezogen hatten, bis zum 30. April wieder räumen – und das gegen den Willen des Grundstückseigentümers, der Hochtief AG. Das Gericht gab damit einer Klage des Deutschen Architektur Zentrums (DAZ) statt, das direkt an die Wagenburg grenzt und sich von dieser stark belästigt fühlt.

Den alten Stellplatz auf einem schmalen Uferstreifen an der Schillingbrücke hatte der Schwarze Kanal nach monatelangem Widerstand verlassen müssen, weil die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di dort ihre neue Bundeszentrale bauen läßt. Die ausführende Baufirma Hochtief hatte den Bewohnern der Wagenburg ein unbebautes Ersatzgrundstück in unmittelbarer Nähe an der Köpenicker Straße/Ecke Michaelkirchstraße angeboten, auf dem sie eigentlich für zweieinhalb Jahre bleiben sollten, um in dieser Zeit einen geeigneten dauerhaften Stellplatz zu finden.

Doch schon vom ersten Tag an gab es Probleme mit dem DAZ. Dessen Klage stützt sich darauf, daß die Wagenburg sowohl baurechts- als auch ordnungswidrig sei. Die von ihr angeblich ausgehende Lärm- und Geruchsbelästigung würde sich negativ auf die Bereitschaft potentieller Mieter auswirken, in den umgebenden hochwertigen Objekten ­ gemeint ist wohl das DAZ ­ Büroräume zu mieten. Der Schwarze Kanal sei eine „Verunstaltung des Stadtbildes" und ein „ästhetischer Fremdkörper", der den modernen Vorstellungen von einem geordneten Zusammenleben in einer Großstadt, zumal in der Innenstadt, widersprechen würde. Da die Nutzung des Grundstücks mit Duldung der zuständigen Bezirkstadträtin Dorothee Dubrau geschah, richtete sich die Klage nicht nur gegen Hochtief, sondern auch gegen das Land Berlin.

In seiner Urteilsbegründung folgte das Gericht weitgehend der Argumentation der Kläger. Die Bewohner des Schwarzen Kanals haben bereits Widerspruch eingelegt; damit geht es eine Instanz höher, zum Oberverwaltungsgericht. Sie berufen sich u.a. auf das Grundgesetz, das die freie Entfaltung der Persönlichkeit garantiert. „Uns geht es darum, daß im Bauplanungsrecht den Bezirken die Möglichkeit gegeben wird, Sonderzonen für Wagenburgen zu schaffen", sagt Moritz Heusinger, der Anwalt des Schwarzen Kanals. Auf lange Sicht wollen die Wagenburgler eine Änderung des übergeordneten Bauordnungsrechts erreichen, das in seiner jetzigen Form noch aus den zwanziger Jahren stammt und ursprünglich gegen die Ansiedlung von Zigeunern gerichtet war. „Im Moment kann sich jeder Kläger darauf berufen", meint Kerstin Siddiqui vom Schwarzen Kanal und ergänzt: „Wir geben nicht auf." Für Januar ist eine große Solidaritätsfeier und eine Demonstration geplant.

Udo Badelt

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