Ausgabe 09 - 2002 berliner stadtzeitung
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Das Geschäft mit der Arbeitslosigkeit

Lara M. Marins Roman Die Dozentin

Das Buch Die Dozentin oder Die Bildungsmafia im Osten von Lara M. Marin hätte eigentlich ein politisches Sachbuch über die Machenschaften der Bildungsinstitute in den neuen Bundesländern werden sollen. Schließlich verfügt die Autorin aufgrund ihrer zehnjährigen Dozententätigkeit für Umschulungs- und Weiterbildungskurse über ausreichend Einblicke in das Geschäft mit der Arbeitslosigkeit. Doch da sie keine juristisch anfechtbaren Behauptungen aufstellen wollte, entschied sie, einen Roman zu schreiben. Die Angabe aber, daß es sich um einen autobiographischen Roman handelt, läßt befürchten, daß die ausschweifenden und eitlen Ausführungen der Protagonistin über ihr aufregendes Liebesleben, ihre Einschätzung über die Unfähigkeit der Ossis und die Vorschläge zur Abschaffung staatlicher Unterstützung von Langzeitarbeitslosen tatsächlich die Meinung der Autorin widerspiegeln.

Durchaus erhellend jedoch sind Marins Schilderungen über die katastrophalen Auswüchse der staatlich geförderten Bildungsmaßnahmen. Die Arbeitsämter verfolgen ausschließlich das Ziel der Bereinigung der Arbeitslosenstatistiken und stopfen wahllos möglichst viele Arbeitssuchende in Bildungsmaßnahmen. Vorbildung oder Wünsche der Betroffenen werden selten berücksichtigt. Überforderte Sachbearbeiter entscheiden ohne Kenntnisse der Berufsinhalte, Vermittlungschancen und Kompetenzen der Bildungsträger, welche Maßnahmen genehmigt oder abgelehnt werden. Die Entscheidung hängt offensichtlich nicht davon ab, ob für die neu erlernten Berufe in der Region überhaupt Arbeitsplätze vorhanden sind. Prüfungen der Bildungsinstitute durch das Arbeitsamt finden oft nur nach ausdrücklichen Beschwerden der Teilnehmer statt.

Die meisten Bildungsträger sind weniger an der erfolgreichen Ausbildung ihrer Teilnehmer interessiert als an schlichter Bereicherung; ihre Bemühungen erschöpfen sich darin, möglichst billig möglichst viele Umschüler abzufertigen. Die Dozenten sind in der Regel gescheiterte Existenzen aus dem Westen, die mit hohen Stundenlöhnen und der erst kürzlich eingestellten Buschzulage in den Osten gelockt wurden. Selbstbewußtes Auftreten beim Vorstellungsgespräch reicht aus, um ein Stück vom Arbeitslosenkuchen abzugreifen. Die Vorlage von Qualifikationsnachweisen ist nicht erforderlich. Welches Fach zu unterrichten sei, erfahren die Dozenten oft erst bei Dienstantritt. Erleichtert wird dieses Verfahren dadurch, daß sich die Inhalte der Ausbildungen kaum voneinander unterscheiden: ein bißchen EDV, ein bißchen BWL, ein bißchen Rhetorik und natürlich Bewerbungstraining. Da die Stundenlöhne der Dozenten um bis zu 25 Euro variieren, die Ausstattung nicht überprüft wird und ein Dozent durch das Einführen von Stillarbeit gleichzeitig mehrere Klassen unterrichten kann, ist es für die Bildungsinstitute ein Leichtes, mehr Geld vom Arbeitsamt einzustreichen, als sie für die Ausbildung benötigen. Die mit staatlichen Geldern eingerichteten Computerräume werden auch schon mal während der Unterrichtszeit an andere Firmen vermietet. Zudem bietet sich die Möglichkeit, die obligatorischen Praktika von Umschülern kostenlos im eigenen Haus oder bei befreundeten Firmen absolvieren zu lassen. Und wenn das Arbeitsamt doch mal eine Maßnahme ablehnen will, hilft immer noch Bestechung.

Das Arbeitsamt zahlt Kursgebühren von über 10000 Euro pro Teilnehmer. Also werden fleißig Lernerfolge simuliert: „Die Einheitszwei ist bei den wenigen Trägern, die Noten vergeben, ungeschriebenes Gesetz, es gibt wenige Ausnahmen... Es gibt sogar Abbruchsempfehlungen oder Verweise vom Institut. Aber das ist nicht einmal ein Fall unter Tausend. Der Teilnehmer bringt Geld, und davon lebt der Träger der Maßnahme. Also wird er sich hüten, Leute aus einer Maßnahme zu kicken." Dabei macht es nicht einmal etwas, wenn Arbeitslose zweimal nacheinander fast identische Maßnahmen durchlaufen. Die Dozenten, die ohnehin selten in dem Fach ausgebildet sind, das sie unterrichten, finden bei einer Vierzigstundenwoche eine Vorbereitung meistens unnötig. Unterhaltungswert zählt mehr als sorgfältige Stoffvermittlung. Oder man praktiziert Beschäftigungstherapie. Eine Institutsleiterin, die Marin in ihrem Buch darstellt, macht daraus keinen Hehl: „Geben Sie keine Kopien aus der Hand, das ist doch alles Ihr gutes Material, tun Sie etwas geheimnisvoll. Legen Sie Folien auf, das spart uns Geld, und die Teilnehmer sind lange mit Abschreiben beschäftigt, das spart dann Nerven."

Ob der Boom an Umschulungen und Weiterbildungen irgendeinen Erfolg bei der Integration in den ersten Arbeitsmarkt zeitigt, darf bezweifelt werden. Die sogenannten Verbleibsquoten geben gerade mal darüber Auskunft, wie viele Teilnehmer ein halbes Jahr nach Beendigung einer Maßnahme nicht mehr als Arbeitssuchende registriert sind. Ob sie McJobs machen, weggezogen sind oder aus Angst vor dem Zwang zu einer weiteren Maßnahme gleich auf staatliche Finanzierung verzichten, ist nicht erfaßt. Doch selbst diese Statistiken sind kein Anlaß zur Freude. Im April diesen Jahres waren 60 Prozent der Berliner Absolventen nicht mehr Kunden des Arbeitsamtes. Und die Berliner sind gegenüber den Bewohnern der neuen Bundesländer sicherlich noch privilegiert. Es scheint, als wäre der Hauptteil der durch Bildungsmaßnahmen vermittelten Jobs im Osten die der Dozenten und Mitarbeiter der Bildungsinstitute selbst. Die sind sogar gut bezahlt.

Katrin Scharnweber

Lara M. Marin: Die Dozentin oder Die Bildungsmafia im Osten.

Autobiographischer Roman, verlag am park/edition ost, Berlin 2002. 12,90 Euro.

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