Ausgabe 09 - 2002 berliner stadtzeitung
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Lieber Tod als Bronze

Wie weiter mit den Berufsschulen?

In der alten Bundesrepublik war man stolz auf sein „duales Berufsausbildungssystem". Ganz unbescheiden, wie hierzulande üblich, hielt man es für das beste der Welt. Seit ein paar Jahren mehren sich zweifelnde Stimmen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund spricht längst von einer „Krise des dualen Systems", und seit der PISA-Studie hält man das deutsche Bildungssystem als Ganzes für das Allerschlimmste. Daß eine Gesellschaft, die die politische und gesellschaftliche Mitte zum Fetisch erhoben hat, in erster Linie eben mittelmäßig ist, ist naheliegend; in Deutschland denkt man aber lieber in Superlativen.

Bevor das duale System Ende der sechziger Jahre von der Großen Koalition eingeführt wurde, führten die Unternehmen, in der Mehrzahl kleine Handwerksbetriebe, die Lehrlingsausbildung allein und so, wie sie wollten, durch. Die OECD bescheinigte der bundesdeutschen Berufsausbildung damals, sie sei schlecht, und dem Handwerk liefen die Lehrlinge davon, weil die Eltern ihre Sprößlinge lieber auf weiterführende Schulen schickten. Deshalb konnten sich Sozialdemokraten und Gewerkschaften mit einer uralten Forderung durchsetzen: Die Berufsausbildung regelt seitdem ein Berufsausbildungsgesetz.

Eigentlich hätten Berufsschule und Lehrbetrieb gleichberechtigt die Verantwortung für die Berufsausbildung haben sollen. In der Praxis war das aber zu keinem Zeitpunkt so. Aus Sicht der Lehrherren ist die Berufsschule nur ein Anhängsel der betrieblichen Ausbildung, wenn nicht gar reine Zeitverschwendung. Bis heute ist das Gros der Lehrstellen in kleinen und mittleren Betrieben angesiedelt. Dort geht es zumeist eher darum, Lehrlinge als billige Arbeitskräfte ausbeuten zu können und weniger um die Qualität der Ausbildung. Lehrjahre sind keine Herrenjahre, heißt es denn auch unentwegt, was unterschlägt, daß sich das für die meisten im Verlauf ihres Berufslebens nicht ändert. So gesehen ist eine der Hauptaufgaben der betrieblichen Ausbildung wohl eher, die verzogenen Kinder schon mal an lebenslange Knechtschaft zu gewöhnen.

Zwölf Stunden Berufsschulunterricht wöchentlich sind laut Rahmenrichtlinie der Kultusministerkonferenz von 1991 vorgesehen, in der Realität gehen aber nur 20 Prozent der Auszubildenden so lange zur Schule. Für die meisten sind nur acht Stunden wöchentlich eingeplant, und selbst davon fällt ein großer Teil wegen Krankheit aus. Das liegt unter anderem daran, daß es viel zu wenig Lehrer gibt und die vorhandenen entsprechend überfordert sind. Nur eine Minderheit hält bis zum Pensionsalter durch, und da bereits jetzt knapp die Hälfte älter als 50 ist, spitzt sich die Situation gerade erst richtig zu. Jährlich würden bundesweit mindestens 3500 Berufsschullehrer gebraucht, ausgebildet werden aber nur 1500.

Die Überalterung der Lehrerschaft ist auch deshalb ein Problem, weil sich viele Berufe in den letzten 30 Jahren stark verändert haben, die Lehrer aber nicht weitergebildet wurden. Viele Fachlehrer sind deshalb heute schlicht fehlqualifiziert. Auch die Maschinen und Anlagen entsprechen nicht annähernd dem neuesten Stand. „Kommt man in Berufsschulen, fühlt man sich oft wie im Museum der Arbeit", befindet der Jugendsekretär der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft, Torsten Tenbieg. Offensichtlich hat man die Berufsschulen staatlicherseits jahrelang einfach verkommen lassen.

Die Arbeitgeber in Gestalt der Industrie- und Handelskammern und des Deutschen Industrie- und Handelstages möchten nun gerne die Gelegenheit nutzen und sich der staatlichen Reglementierung wieder ganz entledigen. Ihnen schwebt eine Privatisierung der Berufsschulen vor. In der neoliberalen Ideologie kann die Privatwirtschaft nämlich alles besser als der Staat. Die Kampagne „SOS Berufsschule", hinter der sich ein paar Jugendorganisationen verschiedener DGB-Gewerkschaften verbergen, möchte dagegen die Berufsschule stärken, mit dem Ziel, sie als gleichberechtigter Partner neben den Lehrbetrieben zu etablieren. Hauptsächlich fordern die Junggewerkschafter mehr Geld für Bildung, um die Schulen auf den neuesten technischen Stand zu hieven. Hierzulande gibt der Staat nur 4,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts dafür aus, während es in Frankreich 6,1 Prozent sind. Außerdem sollen nach ihrem Willen dringend mehr Lehrer eingestellt und regelmäßig weitergebildet werden. Dazu muß man sich aber etwas einfallen lassen, schließlich will den Job kaum noch jemand machen.

Dirk Rudolph

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