Ausgabe 09 - 2002 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Gigantomanie am Ostkreuz

Die Umbauplanungen der DB Projekt Verkehrsbau

Die Tage einer weiteren Berliner Kuriosität, des S-Bahnhofs Ostkreuz, scheinen gezählt. Nur noch bis 2004 darf man den zugigen Hochbahnsteig mit seinen diebstahlsicher eingezäunten Osterhasen-Weihnachtsmann-Stilleben genießen, die WG-artig knallrot gestrichenen Handläufe der Treppen, die rührigen Versuche einer dort beschäftigten Angestellten-Gemeinschaft, durch immer ausgefuchstere Neuerungen den Gebrauchswert des Bahnhofes zu steigern, eine Barackenzeile, die immer noch den Charme eines kleinen Arbeiterparadieses trägt, aus einer Zeit, wo der Arbeiter alles war und der „Kunde" eher lästig.

Jetzt könnte man hergehen und ebenso liebevoll, wie man all die Jahrzehnte nichts gemacht hat, eine behutsame Sanierung vornehmen, z.B. durch die nachträgliche Verglasung des Hochbahnsteiges und den Einbau von Behindertenliftern, die entlang der Handläufe funktionieren.

Aber vom Ostkreuz soll nur das kleine Eingangsgebäude auf der Südseite wirklich bestehen bleiben. Sogar die denkmalgeschützte Fußgängerbrücke mit ihren Treppenhäuschen wird komplett abgetragen und in der letzten Bauphase so ähnlich wieder aufgebaut. Das wäre auch günstiger zu haben, wenn da nicht ein gewisser Autobahntunnel wäre, die projektierte Unterquerung des Ostkreuzes durch die A 100. Die Decke dieses Tunnels zusammen mit den Seitenwänden verläuft direkt unter dem Fußgängersteg. So ist unschwer zu erraten, daß dessen teurer Abbruch und Wiederaufbau nicht nur aus Gründen der Baufälligkeit erfolgt. „Kritische Rekonstruktion" jetzt auch am Ostkreuz!

Die Bahnsteige, die künftig als Richtungsbahnsteige Verwechslungen unmöglich machen sollen, werden nach der Fertigstellung zur Hälfte unter dem gigantischen Ringbahnhof verschwunden sein. Das 132 Meter lange Brückenbauwerk wird an seiner tiefsten Stelle fast 70 Meter breit sein. Allein die S-Bahnhalle mißt 36 Meter, mehrere Fußballplätze wären mühelos zwischen den beiden S-Bahngleisen unterzubringen. Das überaus üppige Platzangebot ist ohne Zweifel weniger auf technische Notwendigkeiten zurückzuführen als vielmehr auf den chronischen Selbstdarstellungsdrang der Deutschen Bahn. Durch die geplante Regionalbahnanbindung geht man zwar bei den täglichen Fahrgastzahlen von mehr als einer Verdopplung auf etwa 230000 aus. Angesichts der ständig steigenden Fahrpreise ist es aber fraglich, ob wirklich so viele Fahrgäste kommen. Die Treppanlagen würden locker noch einmal das Doppelte bewältigen: drei Rolltreppen pro Aufgang und gegenüberliegend eine weitere Treppe, die den Bahnsteig aufquellen läßt.

Wie ein eben gelandetes Raumschiff steht das gewaltige Brückenbauwerk auf den beiden Eingangshallen, die zu jedem ihrer vier Eingänge dasselbe Gesicht zeigen. Die heutigen Eingangsgebäude sollen dann gastronomischen Zwecken dienen.

Eine weitere „Verbesserung" ist, daß die S-Bahn von Schönefeld auch stadteinwärts nicht mehr am Ostkreuz hält. Der Bahnsteig A, der historische Ursprung des Bahnhofes und heute einem verträumten Dorfbahnhof ähnlich, wird komplett entfernt. Ebenso verschwindet der Bahndamm zur nördlichen Ringbahnseite, wodurch zum Friedrichshainer Südkiez hin eine Art Bahnhofsvorplatz entstünde. Sehr aufgeräumt sieht es dort aus in den aufwendigen Computergrafiken des Architekturbüros JSK (Frankfurt/M.). Nur noch der Backsteinbau des sogenannten Beamtenhauses erinnert an die Kleinidylle mit Laubenpiepern, seltenen Pflanzen, Tieren und Menschen im jetzigen Gleisdreieck. Stattdessen sorgt die von der Boxhagener Straße herunterverlegte Straßenbahn für einen echt großstädtischen Kreuzungsspunkt.

Ehrgeizige Pläne für das Ostkreuz also, das danach kaum wiederzuerkennen sein wird. Bleibt die Frage, wer einen derart aufwendigen Ausbau – die Umbaukosten werden auf 350 Millionen Euro geschätzt – bezahlen soll. Die Bahn AG doch sicherlich nicht. Und richtig: Ausgaben in dieser Größenordnung trägt selbstverständlich im wesentlichen der Bundeshaushalt – die Aktiengesellschaft ist ja dazu da, die Gewinne einzufahren. Dann darf es auch ein bißchen mehr sein, eine S-Bahn-Halle beispielsweise, die mit 36 Metern Querschnitt für nur zwei Gleise weltweit ihresgleichen sucht. Wenn es um Steuermittel geht, sind die Grenzen weit gesteckt.

Carsten Joost

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