Ausgabe 09 - 2002 berliner stadtzeitung
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Neue Zumutbarkeit: Der Staat organisiert den Sklavenmarkt

Die Vorschläge der Hartz-Kommission träfen nicht nur die Arbeitslosen

„Das Arbeitsamt wird in seiner Betriebsform zu einem JobCenter umgestaltet", heißt es im Konzept-Papier der Hartz-Kommission, es soll zu einem modernen Dienstleistungsbetrieb mutieren. Die alten Sachbearbeiterinnen werden künftig locker und flockig daherkommen und von modernen amerikanischen Wörtern nur so strotzende Sätze säuseln – immerhin hat die Kommission Sinn für Humor. Die Bundesregierung hat sich aber bereits festgelegt, das Papier „eins zu eins" umzusetzen. Vermutlich ist das Unsinn, denn dann müßte im Gesetzestext ein Haufen hohles Gewäsch auftauchen. Auch die zunächst angekündigte zügige Umsetzung hat man inzwischen vertagt und zwar auf frühestens 1. März nächsten Jahres. So lange dauert es, bis das Arbeits- mit dem Wirtschaftsministerium zusammengelegt und neu organisiert ist. Der Umbau der Bundesanstalt für Arbeit müßte bei dem Tempo mindestens zehn Jahre in Anspruch nehmen. Es bleibt also noch Zeit, Widerspruch zur Geltung zu bringen.

Der wäre auch angebracht, denn die angestrebte Arbeitsmarktreform soll hauptsächlich den Arbeitslosen Beine machen, möglichst jede Arbeit anzunehmen. Eine „Neue Zumutbarkeit" soll sie künftig davon abhalten, schlechter bezahlte Jobs abzulehnen, die weiter entfernt sein können und bei denen auf die Qualifikation kaum noch Rücksicht genommen wird. „Durch die differenzierte und flexibel handhabbare Sperrzeitenregelung kann die Ernsthaftigkeit der eigenständigen Integrationsbemühungen verstärkt werden", steht dazu in dem Papier. Diese Haltung durchzieht das gesamte Konzept.

Konkret will man die Trennung von Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern durch eine Unterscheidung von „Erwerbsfähigen" und „Nicht-Erwerbsfähigen" ersetzen. Wer noch laufen kann, muß ins JobCenter. Und zwar bereits am Tag der Kündigung. So und natürlich mit Hilfe der verschärften Zumutbarkeitsbedingungen will man die Vermittlung beschleunigen. Diejenigen, die nach einem halben Jahr trotzdem noch arbeitslos sind und die man für geeignet hält, stellt dann eine „Personal-Service-Agentur" (PSA) an. Die PSA wird entweder vom JobCenter selbst oder einem privaten Sklavenhändler betrieben. Interessierte Firmen können bei diesen die nun nicht mehr Arbeitslosen günstig ausleihen. Wenn es dumm läuft, kündigen Unternehmer ihren Arbeitern und holen sie sich nach einem halben Jahr als Leiharbeiter zurück. Auf diese Weise würde eine nach unten führende Lohnspirale in Gang gesetzt.

Ursprünglich war geplant, daß die PSAen in den ersten sechs Monaten lediglich einen Lohn in Höhe des vorherigen Arbeitslosengeldes zahlen, was aber derzeit als Lohndumping verboten wäre. An dieser Stelle haben sich auch einige DGB-Gewerkschaften eingemischt, die das Hartz-Papier ansonsten ausdrücklich begrüßen. Vorgesehen ist nun, einen speziellen PSA-Tarif auszuhandeln, mit einem geringeren Einstiegslohn in den ersten sechs Monaten. Wie allerdings die privaten Sklavenhändler an den Verhandlungstisch gezwungen werden sollen, ist unklar. Vermutlich will der DGB selbst in den staatlich organisierten Sklavenmarkt einsteigen, denn als Interessenvertretung der Werktätigen hat er sich ohnehin längst disqualifiziert, und hier können ihm die Schäfchen nicht mehr weglaufen. Sie können höchstens krankfeiern, deshalb muß man wohl mit einer Kostenexplosion im Gesundheitswesen rechnen.

Ein weiterer wesentlicher Bestandteil des Hartz-Papiers zielt auf die Förderung von Selbständigkeit, die Eindämmung von Schwarzarbeit sowie auf die Vergrößerung „des in Deutschland unterentwickelten Marktes für Dienstleistungen". Jeder Arbeitslose soll sich als „Ich-AG" wie ein vollwertiges Unternehmen fühlen dürfen. Tatsächlich darf man künftig drei Jahre lang bis zu 15000 Euro zum Arbeitslosengeld dazuverdienen und muß davon den Zehnten ans Finanzamt abtreten. Im Gegensatz zu normalen AGs muß die Ich-AG nämlich Steuern zahlen, außerdem hat sie weniger Spielraum bei Buchungstricks und sonstigen Betrügereien. Die Ich-AG, die „Familien-AG" und die „Mini-Jobs" machen im Grunde nur deutlich, daß die „moderne Dienstleistungsgesellschaft" der alten Dienstbotengesellschaft nicht unähnlich ist.

Das erklärte Ziel der vorgeschlagenen Arbeitsmarktreform ist die Vollbeschäftigung. Daran glaubt die Kommission natürlich selbst nicht. Für ältere Arbeitslose ab 55 Jahre soll deshalb in Zukunft das „BridgeSystem" greifen: Statt weiterhin unnütz dem Arbeitsmarkt zur Verfügung zu stehen, dürfen sie sich auf eigenen Wunsch aus der Vermittlung des JobCenters verabschieden und langweilige englische Kartenspiele spielen. Sie erhalten weiter Geld, fallen aber vor allem aus der Statistik. Das ist nicht ganz unwichtig, denn der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit ist immer auch ein Kampf gegen die Statistik. Daran wird der Erfolg bemessen. In den Niederlanden, die hierzulande stets als Musterbeispiel für erfolgreiche Reformen dienen, liegt zwar die Arbeitslosenquote unter 3 Prozent, dafür gibt es über 10 Prozent, die als arbeitsunfähig eingestuft sind. So einfach kann das gehen.

Daß man trotzdem an dem Vollbeschäftigungsdogma festhält, liegt wohl auch eher daran, daß mit Hilfe der angekündigten Reform die Arbeitsverhältnisse grundsätzlich und umfassend umgewälzt werden sollen. Ob das gelingt, ist aber keineswegs entschieden. Der Generalangriff auf die bürokratischen Verkrustungen der Bundesanstalt für Arbeit ruft bei den dortigen Angestellten natürlich keine Begeisterungsstürme hervor. Man sollte jedenfalls das Beharrungsvermögen bürokratischer Strukturen nicht unterschätzen. Bei Lichte betrachtet wäre wohl gar ein Bündnis beider Seiten der Arbeitsamtsbarrikade denkbar. Gemeinsame Interessen gibt es zumindest und einen gemeinsamen Anlaß ebenfalls.?

Søren Jansen

Am 20. Oktober hat sich das „Berliner Bündnis für soziale Grundrechte – Stoppt die Hartz-Pläne" gegründet. Kontakt: info@anti-hartz.de

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