Ausgabe 11 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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"Haben Sie noch Durst?"

Das „Café Family" ­ ein Refugium

In der von einem Multiplex-Kino und unangenehmen Lokalen, die sich in seinem Gefolge angesiedelt haben, sowie von Etablissements für Homosexuelle dominierten Gleimstraße bildet das „Café Family" eine Enklave. Vor seiner Tür leuchtet in einem ekelhaften Rosa die völlig überdimensionierte Cinemaxx-Webung, die man nach Eintritt in die Kneipe aber schnell vergessen haben wird.

Deren Name ist Programm: Die weibliche Hälfte des Wirtsehepaars bemüht sich rührend zu kaschieren, worum es hier ­ wie in jeder anderen Trinkstube auch ­ eigentlich geht. Ihre Frage: „Haben Sie noch Durst?", mit der dem Gast das nächste Bier offeriert wird ­ glücklicherweise keine Berliner Marken, sondern preiswertes Thüringer Rosen- oder Duisburger König-Pils ­, suggeriert, es solle ein harmloseres als das Grundbedürfnis nach Rausch befriedigt werden. Hat jemand keinen Durst mehr und schläft neben seinem Getränk ein, wird er von der Wirtin zur Ordnung gerufen. Lobt man die von ihr zubereiteten einfachen Speisen, antwortet sie, daß sie ja auch mit Liebe gemacht seien, woran seit dem Anblick der Dekoration aus hindrapierten Gurkenscheibchen und Paprikaschnitzchen kein Zweifel mehr bestehen konnte.

Das Café Family wurde in der Endphase der DDR tatsächlich als Café gegründet, und noch jetzt ist ein Straßenverkauf für Eis integriert. Früher lief das Geschäft besser, erzählt die Wirtin. Jetzt versammelt sich abends offensichtlich immer ein überschaubarer Kreis hauptsächlich betagter Stammgasttrinker, fast familiär eben, aber Neuankömmlinge jederzeit freundlich begrüßend. Pogrom-Gefahr, die in einigen anderen proletarischen Kneipen Berlins in der Luft liegt, ist an diesem Ort nicht zu spüren, im Gegenteil ­ vom Stammtisch sind mitunter Bekenntnisse zu einer pluralistischen Gesellschaft zu vernehmen wie: „Wo kämen wir denn da hin, wenn alle gleich wär'n? So seh' ick det."

Die Einrichtung der Kneipe ist angenehm schlicht ­ mit gewissen Details, welche die Gemütlichkeit steigern sollen. Mit der Rahmung von acht in zwei horizontalen Reihen an der Wand befestigten Kleiderhaken wurde eine Art Ready-Made produziert, ein Beitrag zur Diskussion über die Konstitutionsbedingungen von Kunst nach der historischen Avantgarde und die ästhetischen Möglichkeiten von Alltagsobjekten. Ein Devotionalieneck erinnert an ein prominentes Mitglied der Café-Familie, den DDR-Schlagersänger Ekki Göpelt („Begrabt mich in der Kneipe"). Früher sei er oft hier zu Gast gewesen, jetzt wohne er aber im Umland und käme nur noch ab und zu. An einem Sonntagnachmittag war einmal die ganze Kneipe um den Fernseher versammelt, um eine von Göpelt moderierte Glückwunschsendung auf ORB zu verfolgen, in der einem Stammgast zum Geburtstag gratuliert wurde.

Dem Lokal droht Ungemach: Das Haus wurde aufgekauft und saniert. Unmittelbar nach der damit verbundenen Umstellung von Gas- auf Elektroherd mußte sich die mit solchem Gerät bislang unerfahrene Wirtin für die deshalb leicht angebrannten Bratkartoffeln entschuldigen. Der Asia-Imbiss daneben mußte schon raus (eine Gesundheitsgefährdung weniger), das Café hat jetzt noch ein Jahr einen Mietvertrag zu den bisherigen Konditionen, aber ob es sich dann noch halten kann, ist fraglich. Mit dem Tod des Café Family wäre die Gleimstraße, der Kiez, der Prenzlauer Berg eines Mikrokosmos beraubt, der unbedingt gebraucht wird.

Thomas Keith

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