Ausgabe 11 - 2001 berliner stadtzeitung
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Dicke Luft in Berlin

Wasserversorgung als sozialhistorisches Thema: eine Ausstellung in Friedrichshagen

„Das ist die Berliner Luft, Luft, Luft" – 1899 schrieb Paul Lincke seinen langlebigen Hit über die inspirierende Wirkung der Berliner Atmosphäre. Noch dreißig Jahre zuvor hätten die Einheimischen über diese Nummer aus der Operette Frau Luna nur die Nase gerümpft: Vor allem in den engen, schnell wachsenden Innenstadtbezirken war der „Duft" der Stadt ein gräßlicher Gestank. Das lag an den Abwässern, die ungeklärt durch Gossen und breite Rinnen in die Spree und ihre Seitenarme liefen. Wie es sich zwischen dicker Luft und stinkendem Wasser wohnte und was die Stadtverwaltung unternahm, um die Lebensqualität der Berliner zu verbessern, ist jetzt in einer Ausstellung im Museum Wasserwerk Friedrichshagen zu sehen.

Tillman, 7, und sein Bruder Moritz, 5, staunen: Das sieht ja aus wie Pferdeäpfel, mitten im Museum! Der täuschend echte Haufen liegt auf dem „Kopfsteinpflaster" einer Straßenflucht, die perspektivisch geschickt gestellte Fotowände bilden. Durch diesen Kunstgriff kann sich der Besucher ein gutes Bild von den Gassen und Wohnverhältnissen in Gegenden wie dem berüchtigten Alt-Berliner Armenviertel „Krögel" in Mitte machen, das erst in den 1930er Jahren abgerissen wurde. Immer wieder brachen hier Typhus und Cholera aus, denn undichte Latrinen verschmutzten das Grundwasser, das an Pumpen im Hof geholt werden mußte. Bis ins letzte Drittel des 19. Jahrhunderts gab es weder regelmäßige Strassenreinigung noch eine Kanalisation. Darüberhinaus teilten die Familien der Arbeiter und kleinen Handwerker die überfüllten Hinterhäuser und Höfe oft mit allerlei Nutztieren: Zugpferde, Milchkühe, Mastschweine und Geflügel machten zusätzlich Dreck. „Unsere Ausstellung soll speziell Kinder ansprechen. Deshalb haben wir vor allem historische Fotos ausgewählt, auf denen sie Altersgenossen und deren Lebens- umstände abgebildet finden. Wasserversorgung wird hier einmal nicht als technikgeschichtliches, sondern als stadt- und sozialhistorisches Thema präsentiert", erläutert Ausstellungsmacherin und Historikerin Jelena Butter das Konzept.

Sanitärer Fortschritt war auf jeden Fall eine sehr ungleichmäßige Entwicklung: Während in den Mietskasernen ein Waschbecken im Flur schon moderner Komfort und Emaillenachttöpfe an der Tagesordnung waren, gab es in „besseren" Haushalten prachtvoll verzierte Badeöfen, deren heißes Wasser sich in blauweiße Badewannen auf Adlerklauen ergoß. Mit den eisernen Schwengelpumpen am Straßenrand aber hatten Kinder in allen Bezirken ihren Spaß ­ das kann man auf alten Bildern erkennen und im Sommer an manchen Orten in der Stadt noch heute beobachten.

Ein Besuch im Wasserwerk Fried-richshagen lohnt sich immer: Die denkmalgeschützte Klinkeranlage von 1893 beherbergt eine umfangreiche Dauerausstellung zur Geschichte der Berliner Wasserversorgung. Was Technikinteressierte besonders freuen dürfte: An Wochenenden wird mehrmals die Dampfmaschine vorgeführt. Und im Unterschied zu den Latrinen von früher bieten die Museumstoiletten einen Panoramablick auf den Müggelsee.

Annette Zerpner

„Wasser, Gossen, dicke Luft – eine Ausstellung nicht nur für Kinder", noch bis Ende Mai 2002 im Museum im Wasserwerk, Müggelseedamm 307, Friedrichshagen, Mi-Fr 10-15, Sa, So und Feiertags 10-16 Uhr. www.bwb.de

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