Ausgabe 11 - 2001 berliner stadtzeitung
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Sag Du zum Chef

Gegenwehr bei Ausbeutung in Kleinbetrieben ist schwierig, aber nicht unmöglich

Wer schon einmal in einem Kleinbetrieb gearbeitet hat, kennt das sicher: Weil auf engstem Raum zusammengearbeitet wird, entsteht meist ein sehr persönliches Verhältnis zum Chef, das es erschwert, unvoreingenommen die innerbetrieblichen Machtverhältnisse und die oft genug miserablen Arbeitsbedingungen wahrzunehmen, geschweige denn, dagegen aufzubegehren. Stattdessen gerät, wer mit dem Chef per Du ist, leicht in das Fahrwasser einer Ideologie, derzufolge im Betrieb alle in einem Boot sitzen ­ sodaß die Interessen der Firma zu den eigenen werden. Dann bleibt man abends eben mal ein paar Stunden länger und schleppt sich selbst mit 39 Grad Fieber zur Arbeit, weil unbedingt noch ein wichtiges Projekt zu Ende gebracht werden muß ­ und sonst alles an den ohnehin überlasteten Kollegen hängen bliebe. Häufig stünde einem eine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall sowieso nicht zu, weil man es gar nicht erst zu einem ordentlichen Arbeitsverhältnis gebracht hat: Viele sind freie Mitarbeiter und damit selbst schon „Unternehmer" oder schlicht Schwarzarbeiter.

Diesem Thema widmete sich eine Veranstaltung am 21. Oktober, zu der die Gewerkschafter von der Freien ArbeiterInnen Union (FAU) ins Bandito Rosso in der Lottumstraße 10a geladen hatte. Gekommen waren ungefähr 25 Menschen aus den unterschiedlichsten Branchen, die zunächst von ihren Erfahrungen berichteten. Ein Maurermeister erzählte von portugiesischen Bauarbeitern, die im Müll wühlten, nachdem sie acht Monate keinen Lohn mehr bekommen hatten und davon, daß viele deutsche Kollegen ihren letzten Rettungsanker in der Selbständigkeit suchten, weshalb es auf Großbaustellen oft Hunderte von Subunternehmern gebe. Ein Programmierer hatte in einem Betrieb gearbeitet, der versuchte, nur noch mit Praktikanten und Studenten zu arbeiten. Wegen zu vieler Überstunden und des daraus resultierenden schlechten Betriebsklimas sah er sich genötigt zu kündigen.

Das „Arbeitsethos" kam immer wieder zur Sprache: Die „gute Schule der Moral" führt letztlich dazu, über das akzeptable Maß hinaus Überstunden zu leisten, und verstärkt die Identifikation mit dem Betrieb. Andererseits verwiesen diejenigen, die im Pflegebereich arbeiten, auf ihre Verantwortung gegenüber den Patienten, die ganz unabhängig vom Arbeitgeber sei.

Ziel der Veranstaltung war, gemeinsam Möglichkeiten einer Gegenwehr gegen Ausbeutung im Kleinbetrieb zu finden. Eine Buchhändlerin berichtete, wie sie mit ihrer Kollegin in einem vor der Pleite stehenden Laden zumindest ihren noch ausstehenden Lohn erstreiten konnte, indem sie die Bücher als „Geiseln" nahmen. Ein Call-Center-Agent dagegen hatte mit einer Betriebsratsgründung schlechte Erfahrungen gemacht. Allgemein wurde festgestellt, daß es bereits eine Menge individueller und zum Teil auch kollektiver Widerstandsstrategien gibt. Wichtig sei aber in punkto Strategie, die vielen Kleinbetriebe nicht ausschließlich als Einzelfälle wahrzunehmen. Heute haben solche Betriebe häufig aufgrund von Ausgründungen und zunehmender „flacher Produktionsweise" eher den Charakter einer dezentralen Fabrik. Um an diesem entscheidenden Punkt weiterzukommen, müßte mit dem Aufbau eines gewerkschaftlichen Netzwerkes begonnen werden. Dazu ist für den 18. November um 15 Uhr ein Nachfolgetreffen verabredet worden – wieder im Bandito Rosso.

Søren Jansen

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