Ausgabe 11 - 2001 berliner stadtzeitung
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Elementarteilchen in der schönen neuen Stadt

Stadterneuerungsprozeß jenseits von Behutsamkeit

Lange galt in der universitären Diskussion die Behauptung, es gebe durch die Sanierung in Prenzlauer Berg einen Verdrängungsprozeß, als umstritten. ­ entgegen dem Augenschein. Angesichts fehlender mikrosoziologischer Daten erschien die These immer wieder als Überinterpretation. Nun liegt
als Ergebnis eines dreijährigen Forschungsprojektes die erste unabhängige, nicht durch Behörden beauftragte Untersuchung zur Stadterneuerung in Ostberlin vor. Exemplarisch und repräsentativ an je zwölf Häusern im Sanierungsgebiet Kollwitzplatz und im Milieuschutzgebiet Falkplatz wurde der Modernisierungsprozeß begleitend beobachtet. Mieterinterviews vor und nach der Sanierung sowie Gespräche mit Eigentümern und öffentlichen Akteuren ergeben ein Gesamtbild des Sanierungsgeschehens. Der Soziologe Andrej Holm, Mitarbeiter des Projekts, gibt Auskunft.

Was war der Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung?

Ausgangspunkt war die Feststellung, daß es auf Grundlage der Daten anderer Studien zwar eine relativ genaue Beschreibung des Wandels in Prenzlauer Berg gibt ­ und intensiv und öffentlich darüber gestritten wird, wie diese Daten zu interpretieren sind. Dem gegenüber steht jedoch ein erstaunliches Defizit an Erklärungen für die Ursachen der dramatischen Veränderungen. Insbesondere die Rolle der Stadterneuerung selbst wurde oftmals vernachlässigt. Deshalb haben wir den Sanierungsprozeß und seine Auswirkungen auf den sozialen Wandel mikrosoziologisch betrachtet, mit der These, daß der Erneuerungsprozeß selbst einen entscheidenden, wenn nicht zentralen Einfluß auf die sozialen Veränderungen hat. Wir haben anhand einer Untersuchung der Auszugsrate aus den Häusern während des Modernisierungsprozesses beobachtet, daß Modernisierung ein erheblicher Mobilitätsauslöser ist. Die Hälfte der Mieter ziehen währenddessen endgültig aus ihren Wohnungen aus. Wir konnten also einen direkten Zusammenhang zwischen Sanierung und Auszugsbewegungen feststellen.

Gibt es in den Sanierungsgebieten keine Versuche, eine Verdrängung zu verhindern?

Zumindest auf der programmatischen Ebene wird immer noch an den Leitbildern der „Behutsamen Stadterneuerung" aus den achtziger Jahren festgehalten. Leider haben sich in den letzten zehn Jahren die Voraussetzungen für eine solche Politik deutlich verändert. Es fließen weniger öffentliche Mittel, wodurch die Sanierungsverwaltungen gezwungen sind, nicht mehr mit Geld aus Förderprogrammen, sondern mit rechtlichen Instrumenten öffentliche Interessen gegen Eigentümer durchzusetzen. Etwa 75 Prozent der heutigen Modernisierungen werden über private Investitionen abgedeckt. Die bau- und sanierungsrechtlichen Versagungs- und Steuerungsmöglichkeiten aber wurden bislang nicht besonders offensiv ausgelegt – letztlich eine politische Frage. In den Leitsätzen für die Sanierungspolitik gibt es eine sehr widersprüchliche Formulierung: „Die rechtlichen Mittel sind auszuschöpfen... restriktive Maßnahmen sind dabei aber zu vermeiden." Das Neue an der Stadterneuerungspolitik in Ostberlin ist die Orientierung an Verhandlungen. Jedes Sanierungsobjekt soll von allen beteiligten Akteuren neu verhandelt werden. Modernisierungsverlauf und Miethöhe wird zum Ergebnis von Vereinbarungen.

Um welche sozialen Ziele geht es?

Erstens geht es um die bauliche Verbesserung der Wohnverhältnisse, zweitens soll in Anlehnung an die behutsame Stadterneuerung die soziale Zusammensetzung der Wohnbevölkerung beibehalten werden. Beide Ziele scheinen unter der Bedingung, daß der Staat nicht mehr Hauptfinancier ist, in einen ständigen Widerspruch zu geraten. Relativ deutlich zeigt sich das in Häusern, in denen das bauliche Ziel mit Renditeorientierung der privaten Eigentümer durchgesetzt wird. Daß das soziale Ziel hier ins Hintertreffen gerät, belegt eine hohe Auszugsrate. Eine Stadterneuerungspolitik, die dabei auf „Verhandlung" und „Moderation" setzt, kann wenig ausrichten. Letztlich wird die Durchsetzung der sozialen Ziele auf die Mieter abgewälzt. Sie stehen im Modernisierungsprozeß den Eigentümern gegenüber.

Kam es in den untersuchten Häusern zu gleichberechtigten Verhandlungen?

Es gibt kein gleichberechtigtes Verhandeln zwischen Eigentümern und Mietern, die nur scheinbar stark sind, weil ohne ihre Zustimmung nichts läuft. Die Mieter sind als Laien allein mit Eigentümern konfrontiert, die mit der ganzen Kraft des professionellen Akteurs und der eigentumsorientierten Rechtsordnung der Bundesrepublik im Rücken ihre Ziele verfolgen. Das ist so ungefähr das Gegenteil einer gleichberechtigten Basis.

Welche Rolle spielen die Mieterberatungen?

Die Mieter bekommen hier Unterstützung. Die Fähigkeit jedoch, Angebote wahrzunehmen und für sich zu nutzen, ist, abhängig von Bildungsgrad und kulturellen Ressourcen extrem unterschiedlich verteilt. Wer eigene Interessen durchsetzen will, braucht Zeit, Verhandlungsgeschick usw. Letztendlich sind also trotz der Beratungs- angebote die Mieter auf sich allein gestellt.

Wie ist die Wahrnehmung der Stadterneuerung durch die betroffenen Bewohner?

Das Verständnis von Stadterneuerung hat sich in Ostberliner Sanierungsgebieten auf die Wohnungsmodernisierung reduziert. Die Gestaltung des Wohnumfeldes und andere Aspekte liegen weit dahinter zurück. Das stärkt die Individualisierung der Betroffenen.

Wird so die Wohnung wichtiger als der Stadtteil?

Die Bewohner lösen sich mental nicht von ihren Gebieten. Gerade für die, die länger als fünf Jahre hier wohnen, spielt der Stadtteil eine zentrale Rolle. Nur stellen sich hier oftmals keine positiven Bezüge her. So ist die Wahrnehmung etwa der Veränderung der Gewerbe- oder Sozialstruktur durchaus häufig ein relevanter Grund für einen Wegzug. Die Bewohner denken nicht nur an ihre eigene Wohnung. Doch der Raum der politischen Sphäre wurde darauf verkürzt. Das ist das eigentlich dramatische.

Wie haben sich diese Veränderungen konkret in euren Untersuchungshäusern ausgewirkt?

Die Hälfte der Mieter, die zum Zeitpunkt der Ankündigung in den Häusern wohnen, zieht im Laufe des Modernisierungsprozesses aus. Die anderen 50 Prozent bleiben oder kehren aus einer Umsetzwohnung wieder zurück. Diese Durchschnittsgröße verdeckt jedoch die Unterschiede zwischen einzelnen Häusern. Abhängig von Sanierungsumfang, dem Organisationsgrad der Bewohner und dem Engagement, mit dem sich öffentliche Träger in die Sanierung einschalten, gibt es sehr unterschiedliche Verbleibequoten. Die Verhandlungsorientierung in der Stadterneuerung führt zu dieser Diversifizierung. Es gibt kein generelles Muster für die Sanierung in der Innenstadt.

An wen richtet sich die Studie?

Das ist eine gemeine Frage, weil sie auf den Nutzen von Wissenschaft abzielt. Unsere Arbeit ist keine Politikberatungsstudie. Es war die erste unabhängige, nicht aus dem adminstrativen Spektrum beauftragte Untersuchung zur Stadterneuerung in Ostberlin. Ihre Schlußfolgerungen müssen von den politischen Akteuren formuliert werden. Was wir zeigen konnten, ist, daß zunehmende Individualisierung dazu führt, daß Stadterneuerung zum hoch selektiven Prozeß wird. Unserer Einschätzung nach entspricht dies nicht mehr den Zielen des Erhalts der sozialen Zusammensetzung in den Gebieten.

Kann die Studie als Wegweiser dienen?

Immerhin konnten wir zeigen, wo in der Praxis der Stadterneuerung Ursachen für Wegzüge liegen. Besonders intensive Erneuerungsmaßnahmen, wie etwa Grundrißänderungen in Wohnungen, Einbau von Aufzügen oder Dachgeschoßausbauten führten zu deutlich höheren Auszugsquoten. Hier wird eine Handlungsnotwendigkeit formuliert. Es ist die Aufgabe von Wissenschaft und politischen Akteuren, die Entwicklungen im Blick zu behalten und zu hinterfragen. Daraus schlußfolgernd müssen die Probleme im politischen Bereich gelöst werden.

Kann überhaupt jemand eine objektive Einschätzung des Sanierungsprozesses für sich in Anspruch nehmen?

Objektivität hat in diesem Fall zwei Komponenten. Zum einen geht es um die Verfügbarkeit von Wissen und Daten, zum anderen natürlich um die Frage nach der Parteilichkeit. Die Experten der Stadterneuerung kennen die Einzelfälle und verfügen über aussagekräftige Datensätze, wo andere Institutionen und Laien wenig Einblick haben. Diese Experten haben deshalb die größere Chance, im ersten Sinn „objektiv" zu sein. Andererseits ist Objektivität von Untersuchungen immer eine Frage von Interessen ­ und Eigeninteressen ­, so daß es nie eine Objektivität jenseits der gegebenen Strukturen gibt. Eine Interpretation und die Veröffentlichung von Ergebnissen ist in der Regel vom Auftraggeber abhängig. Wir hatten in unserem Projekt die Luxussituation, keiner Einflußnahme zu unterliegen.

Und subjektiv? Wie ist Deine persönliche Einschätzung zur Entwicklung im Prenzlauer Berg?

Die, daß sich nicht nur das bauliche Umfeld, sondern auch die Bewohnerstruktur deutlich verändert hat. Auf der Straße treffe ich fast ausschließlich junge, modische Leute und komme mir inzwischen manchmal fast zu alt für den Bezirk vor. Die Verlierer der Gesellschaft, die noch vor ein paar Jahren das Bild hier prägten, sind nur noch an ein paar Stellen zu treffen. Auch für viele meiner Freunde und Bekannten sind Sanierung oder steigende Miete zum Problem geworden. Ich weiß gar nicht mehr, wie oft ich in den letzten Jahren bei Umzügen geholfen habe.

Interview: Claudia Küster

Die Studie „Stadterneuerung und Wohnungsmodernisierung unter veränderten Bedingungen am Beispiel Ostberlin" wird Anfang nächsten Jahres bei Leske und Budrich veröffentlicht.

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