Ausgabe 01 - 2001berliner stadtzeitung
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Immer Ärger mit Harry

Dominik Molls französischer Psychothriller „Harry meint es gut mit dir" kombiniert Gruseln mit Augenzwinkern

Michel fährt einen klapprigen, stickigen Familienkombi, Harry einen flotten Schlitten mit Klimaanlage. Michel und seine Frau werden von drei lärmenden Gören terrorisiert, Harry kann seine süße Freundin vorzeigen. Michel rackert sich in salopper Arbeitskleidung ab, Harry trägt Designerklamotten und beschäftigt Angestellte.

Beide gingen einmal auf dasselbe Gymnasium. Da schrieb Michel in der Schülerzeitung Gedichte und gar den Anfang eines vielversprechenden Science-Fiction-Romans, „Die fliegenden Affen". Harry verehrte Michel.
15 Jahre später begegnen sie sich auf einer Raststättentoilette wieder. Michel ist gestresst, Harry nicht und lädt sich prompt in dessen Ferienhaus ein. Doch Michels aufreibender Lebenswandel betrübt ihn. Weniger schuften sollte er, dafür wieder schreiben. Probleme sind für Harry zum Lösen da, Geld spielt keine Rolle. Die Kinder schreien auf der Autobahn? Sie fahren in seinem angenehm kühlen Wagen mit. Michels Auto gibt den Geist auf? Harry kauft ihm einen Jeep. Alle Hindernisse auf Michels Weg wird Harry beseitigen, ganz einfach. Denn Harry ist Michels Freund: Er meint es gut mit ihm...

Scheinbar harmlos beginnt Dominik Molls zweite Regiearbeit „Harry meint es gut mit dir" mit der Zeichnung der beiden Protagonisten als kontrastierende Persönlichkeiten: Charakterlich und materiell verbindet sie wenig. Die Antipoden ziehen sich aber nicht nur an, sondern ergänzen sich. Denn Harry wirkt trotz seines Wohlstands unerfüllt, projiziert seine Leere auf sein einstiges Idol, während es Michel an Finanzkraft fehlt. So wird der eine zum Kehrbild des anderen: Nicht zufällig begegnen sich beide vor einem Spiegel. Doch der Film erzählt nicht nur von der Förderung verborgener Talente, sondern auch von Grenzüberschreitungen, Einmischung, Besessenheit. Der so joviale Harry entpuppt sich als gefährlicher Psychopath; das Wohlergehen seines selbsternannten Schützlings wird zu seinem Lebenszweck. Doch wie weit kann man gehen, wenn man jemandes Glück erzwingen will? Der Bösling wird dennoch nie dämonisiert, wirkt bei all seinen zweifelhaften Handlungen immer noch sympathisch. Nicht von ungefähr erhielt Sergi Lopez für die Darstellung des Harry den europäischen Filmpreis „Felix".

Als Vielschichtig erweist sich der Film auch in seiner Genrezuordnung.
Er ist Psychodrama, Krimi und schwarze Komödie in einem. Dabei bedient sich der Hitchcock-Fan Moll beißender Ironie, spielt mit Krimikonventionen und Zuschauererwartungen, die er jedoch stets wieder unterläuft. Nicht nur Harrys Widersacher sind seinem Spiel ausgeliefert, auch der scheinbar informierte Zuschauer erlebt Überraschungen. Amüsante Requisiten und Schauplätze wie rohe Eier, ein knallpinkes Badezimmer oder eine drei Meter tiefe Grube schließlich erfüllen in dem tadellos geschriebenen Plot wichtige Funktionen und sind genauso Handlungsträger wie die Figuren.

Kira Taszman

„Harry meint es gut mit dir", F 2000; R: Dominik Moll,

D: Sergi Lopez, Laurent Lucas,
Mathilde Seigner u.a.

Kinostart: 25.1.

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