Ausgabe 08 - 2000berliner stadtzeitung
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Wie einst die revolutionäre Klasse lebte

Der Nachlass des "Museum Berliner Arbeiterleben" soll wieder in einer Sammlung gebündelt werden

Die DDR-Regierung verkündete ihrer Bevölkerung unablässig, ein "Staat der Arbeiter und Bauern" zu sein. Die Landbevölkerung durfte sich zweier Museen in Mecklenburg und Vorpommern glücklich schätzen, die sich der Geschichte des ländlichen Raumes und seiner Bevölkerung damals wie heute widmen. Anders in der Stadt: Das "Museum Berliner Arbeiterleben" öffnete erst 1987.

Das Kleinod fand seinen Sitz in der Husemannstraße (Prenzlauer Berg). Nun war es möglich, die Lebensverhältnisse in einem Berliner Arbeiterbezirk um 1900 nachzuempfinden. Doch das Museum erlebte nicht einmal sein 10jähriges Jubiläum, wurde von der Senatsverwaltung für Kultur 1995 abgewickelt. Berlin, so scheint es, schämt sich seiner Vergangenheit als Arbeiterstadt.

Zurzeit sind "Küche & Stube" des ehemaligen Arbeitermuseums im Rahmen der Ausstellung "Wohnen im Wandel" im Nicolaihaus zu sehen. Daneben erfährt der Besucher Wissenswertes über das Berliner Arbeiterleben. Fotos erinnern an beengte Wohnverhältnisse in lichtscheuen Hinterhöfen. Ganz im Gegensatz zu den ärmlichen Verhältnissen der Arbeiter stehen die aufwendigen Tapeten aus der Zeit um 1900, die vormals die Wohnung eines wohlhabenden Hausbesitzers in der Danziger Straße zierten.

Der Besitzer achtete "sittsam" auf "geordnete Verhältnisse" in seinem Haus. Zu sehen ist in der Ausstellung denn auch ein "Stiller Portier" aus dem Hause Danziger Straße 22 (heute Nr. 48), ein Glaskasten im Hausflur, der sowohl auf den nahen Feuermelder, als auch auf das nächste Standesamt verweist.

Obwohl Perle der Ausstellung, wirken Arbeiterstube und -küche im Nicolaihaus, das für das vornehme und reiche Berlin steht, deplaziert und in den großzügig anmutenden Räumen verloren.

"Unsere heutige Zeit ist geprägt von Spaß und kurzweiligen Projekten. In Zusammenhängen soll wohl nicht mehr gedacht werden", bedauert Dr. Tobias Böhm, der frühere Leiter des Arbeitermuseums, und ergänzt: "Sogar die SPD als traditionelle Arbeiterpartei scheint sich von ihrer Klientel - der Arbeiterschaft - verabschiedet zu haben." Böhms Wunsch daher: "Stube & Küche sollten zurück in den Kiez von Prenzlauer Berg gebracht werden, um sie in einem günstigeren Rahmen auszustellen." Seiner Idee stehen unter anderem Reinhard Kraetzer (Bürgermeister von Prenzlauer Berg) und Bernd Roder, Leiter des Heimatmuseums Prenzlauer Berg, aufgeschlossen gegenüber.

Der Museologe möchte die Heimatgeschichte aus verschiedenen Blickwinkeln dokumentieren. "Hierzu gehört selbstverständlich auch die Arbeitergeschichte und damit auch das Mobiliar aus dem ehemaligen Museum Berliner Arbeiterleben", sagt Roder. "Mit der Stiftung Stadtmuseum Berlin verhandeln wir und hoffen, in diesem Herbst das Mobiliar des Arbeiterhaushaltes aus dem Depot als Dauerleihgabe zurückzubekommen", so Roder.

Verbinden möchte der Museologe die Ausstellung zum Arbeiterleben mit dem vornehmen Leben eines Pankower Fabrikanten, dessen Nachlass in seiner Pankower Villa zu besichtigen ist. Mit der Integration der Weißenseer Industriehistorie könnte ein umfassendes Bild der Geschichte eines großen Teils von Berlin geboten werden. Allerdings: "Wir dürfen weder unseren Mitarbeiterkreis erweitern noch ist mit ausreichend finanzieller und materieller Unterstützung seitens des Bezirkes zu rechnen", schränkt Roder ein. Dann ist es fraglich, wie die Museumsarbeit auf dem jetzigen Niveau aufrecht erhalten werden kann.

Annegret Heinker

"Wohnen im Wandel der Zeiten" ist noch bis zum 10.Semptember im Nicolaihaus, Brüderstr.13, zu sehen.

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