Ausgabe 08 - 2000berliner stadtzeitung
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Bauwagen statt Bausparen

Wagenburg Bötzowstraße bedroht - Baugenehmigung für Hotel in Kürze

Wagenburgen in Berliner Innenstadtbezirken - gibt es die überhaupt noch? Der Berliner CDU/SPD-Senat fasste nach der Räumung der Wagenburg an der East Side Gallery im Juli 1996 den Beschluss, alle innerstädtischen Wagenburgen bis Ende 1997 zu räumen. Der Senatsbeschluss enthält die haarsträubende Begründung, "dass Wagenburgen keine Problemlösung für die dort lebenden Bewohner mit dem Ziel der gesellschaftlichen Reintegration darstellen". Seitdem werden Wagenburgen im Berliner Innenstadtbereich von den Behörden nur noch widerwillig geduldet.


So auch im Bezirk Prenzlauer Berg an der Ecke Am Friedrichshain/Bötzowstraße. Mitten auf einem Brachgrundstück neben dem Filmtheater am Friedrichshain und direkt gegenüber dem Volkspark Friedrichshain leben im Moment 20 bis 25 Menschen in ihren oft liebevoll ausgebauten Bauwagen und Wohnmobilen. Die Wagenburgler betrachten das Wohnen im Wagen nicht als Notlösung, sondern es ist eine freiwillig gewählte alternative Wohnform, für die sie in der Regel frühere Wohnungen aufgegeben haben. Der Wagenplatz existiert entgegen anderer Presseberichte (Berliner Zeitung vom 26. Juli) nach wie vor.

Am 31. Juli veranstalteten die Bewohner ein Wagenburgfest unter dem Motto "Bauwagen statt Bausparen"mit Live-Musik, Kabarett, und Volxküche. Über 100 Leute, von jungen Punks und Partyleuten bis hin zu Anwohnern aus der Nachbarschaft, feierten ausgelassen und solidarisierten sich mit dem Kampf der Wagenburgmenschen für den Erhalt ihres alternativen Wohn- und Kulturprojektes. Denn das Grundstück Am Friedrichshain 16-18, wo bis 1993 die Gaststätte "Saalbau"stand, ist bereits an den Investor Eberts & Partner verkauft, der es möglichst schnell bebauen will.

Exklusive Seniorenresidenz

Dort soll ein Hotel, das mit einer Seniorenresidenz kombiniert ist, entstehen. Die Nutzung des bis zu sechs Etagen hohen Gebäudes soll folgendermaßen aussehen: Hotel mit 86 Zimmern plus zwei Suiten, 50 Zwei-Zimmer-Seniorenwohnungen mit 41 bis 65 Quadratmetern Wohnfläche und zusätzlich eine Pflegeeinrichtung für Senioren. Die Wohnungen werden übrigens stolze 20 bis 25 Mark Miete pro Quadratmeter kosten. Auf Kleingewerbe, wie ursprünglich geplant, wird verzichtet.

Zur Zeit streiten sich Eberts & Partner und das Bezirksamt Prenzlauer Berg über die Räumung der Wagenburg. Der Investor behauptet gegen-über dem Bezirksamt, dass es Gespräche mit den Bewohnern gegeben habe. Davon ist aber den Leuten der Wagenburg nichts bekannt. Bezirksbürgermeister Kraetzer unterstützt die WagenburglerInnen. Er möchte einen Runden Tisch mit allen Beteiligten. Ein erstes Gespräch wird laut Auskunft von Herrn Völker vom Bauamt Prenzlauer Berg am 15. September stattfinden. Daran wollen Bürgermeister Reinhard Kraetzer (SPD), die Baustadträtin Dorothee Dubrau (Bündnis 90/Grüne), Vertreter von Eberts & Partner sowie Wagenbewohner teilnehmen. Es soll versucht werden, eine gemeinsame Lösung für die "Abwicklung"der Wagenburg im Bötzowviertel zu finden.

Biergarten mit Wagenburg-Blick

Zuvor klebten Mitarbeiter des Bauamtes Prenzlauer Berg vor einigen Wochen Zettel für eine offizielle Registrierung der Fahrzeuge an alle Wagen. Die Namen und Adressen der Besitzer sollten zum 31.Juli bekanntgegeben werden. Diese Aktion wurde aber auf dem Wagenburgfest von einem Bauamtsmitarbeiter persönlich abgebrochen: Die Wagen sind also weiterhin nicht registriert, was eine Räumung der Wagenburg erschwert. Es bleiben die Registrierungszettel an den Wagen, die sich nur sehr schwer entfernen lassen. Die Leute von der Wagenburg sprechen sogar von "Sachbeschädigung".

Die Bewohner erhalten auch Unterstützung von den Nachbarn im Bötzow-Viertel. Es gibt eine positive Grundstimmung der Anwohner und einiger Geschäftsleute gegenüber der Wagenburg. Sogar das Filmtheater am Fried-richshain ist von den Bauplänen nicht begeistert. Das Kino machte schon vor einigen Jahren für seinen Biergarten Werbung mit dem Spruch: "Biergarten mit Blick auf eine der letzten Wagenburgen Berlins".

Nur leider ist die Chance, dass dies so bleibt , nicht sehr groß, denn laut Auskunft des Bauamtes Prenzlauer Berg wird die Baugenehmigung für das Hotel- und Seniorenresidenzprojekt voraussichtlich im September erteilt. Jochen Mühlbauer

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