Ausgabe 08 - 2000berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

Psycho, Therapeuten, Thriller

"Die totale Therapie" von Christian Frosch

Ja, ja, die Psychopathen. Immer gut für einen Film, in dem ohne sie die Erklärungen ausgehen oder die Spannung abzusacken droht. Derartige Motive könnte man auch Christian Frosch unterstellen, doch zeigt sich in der Titel gebenden "Totalen Therapie" recht schnell, dass hier keine Untiefen des Unbewussten ausgelotet oder bekämpft werden sollen. Froschs Film ist vielmehr eine Kaskade von Seitenhieben auf die boomende Seelenheiler-Industrie samt deren Kundschaft.

Stagnation der Karriere, Eheprobleme, Beziehungsängste und Planlosigkeit treiben neun grundverschiedene Charaktere in die Arme des schmierigen Dr. Roman Romero, der nicht müde wird, seine Heilsphilosophie als charismatischer Sektenführer in kitschigen Kaufvideos unter den verlorenen Seelen zu verbreiten. Nach dem Motto "Du kennst Grenzen. Dein Ich hat keine Grenzen!" werden die Kursteilnehmer durch die Psycho-Mangel gedreht, wobei ihnen weder Baum-Umarmungs-Ausflüge in den Wald noch die notorische Rückkehr in die eigene Kindheit erspart bleiben. Doch während die ursprünglichen Probleme der Teilnehmer unter der Belastung der persönlichen Enge, dem Verlust jeder Intimität und der Gehirnwäsche-Rhetorik der Therapeuten schon in Vergessenheit geraten, steigert sich die Aggression in der Gruppe bis zur Entladung in einem Mord, der nur den Anfang darstellt für einen kollektiven Amoklauf.

Für dieses Szenario hat Frosch hat eine faszinierende Sprache gefunden, die gleichzeitig fesselt und unterhält. Körniger Film, Reißschwenks und unsicher-ausdauerndes Verweilen der Handkamera auf den Gesichtern der Therapierten erzeugen eine Atmosphäre des Dokumentarischen von dänisch-dogmatischer Suggestionskraft. Nur in scheinbarem Widerspruch dazu spielt er ein gänzlich unsubtiles Spiel mit den grellen Farben der Räume des Therapiezentrums, agieren Romero (Blixa Bargeld) und seine Co-Therapeuten hölzern und auswendig gelernt als wären sie ferngesteuert. Dieser Kontrast erzeugt zwischen den Figuren allein beim Zusehen eine innere Unruhe, die erst bewusst wird, wenn die Psycho-Dämme der Beteiligten bersten.

So grob wie dieser Kontrast gestaltet sich denn auch der Verlauf des finalen Desasters. Die Hölle, das sind auch hier wieder einmal die anderen. Und der Befreiungsschlag kommt so unvermutet wie seine Folgen für fast alle tödlich sind. Die wackeligen Bilder und der roh bearbeitete Ton wecken plötzlich und kurioserweise schönste Erinnerungen an die Gore-Kruditäten eines Hershell Gordon Lewis ("2000 Maniacs") oder andere mit mehr Herzblut als Geld geschaffene Dezimierungsfilme, die ebenfalls durch den Witz ihrer Ideen bestachen. Vor lauter Lust am Drehen scheint Frosch dann allerdings beinahe vergessen zu haben, für das Ganze noch ein Ende zu finden. Doch, wie sagt man so schön, nach der Therapie ist vor der Therapie und ein Ende kommt immer dann, wenn man gerade nicht dran denkt.

Markus Sailer

"Die totale Therapie"; D/A 1998.
Regie: Christian Frosch. Mit: Sophie Rois, Lars Rudolph, Blixa Bargeld u.a.
Kinostart: 24. August in den Kinos Blow Up, Hackesche Höfe, Eiszeit.

© scheinschlag 2000
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 08 - 2000