Ausgabe 08 - 2000berliner stadtzeitung
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Der letzte Sommer des Bertolt Brecht

"Abschied" von Jan Schütte

Morgendämmerung über einem verträumt stillen See. Das Sonnenlicht blutrot. Dazu etwas leise, elegische Klaviermusik. Die Kamera schwenkt auf ein noch schlafendes Haus. Gleichzeitig bewegt sich ein schwarzes Auto auf das Anwesen zu. Das bedeutet nichts Gutes. Am Rande bewachen Volkspolizisten eine Sperre. Der Ort ist also klar. Der Inhalt auch. Es geht um Brechts letzten Sommer, wie der Untertitel des Films "Abschied" von Jan Schütte vorbereitend wissen lässt. Es ist ein spätsommerlicher Tag in der idyllischen Märkischen Schweiz, in Buckow. Der letzte Ferientag im Sommer 1958.

Dann sieht man Brecht schweißgebadet im Bett liegen. Draußen im Garten verbrennt ein Mädchen eine speckige Schirmmütze, die "Kappe" des Meisters. Langsam erwacht das ganze Haus, in dem der gesamte Hofstaat des Dichters versammelt ist. Alle Ziegen, wie Ruth Berlau die Geliebten nennt: Käthe Reichel, Isot Kilian, Elisabeth Hauptmann, natürlich Ehefrau Helene Weigel sowie die Tochter Barbara. Sie haben die Ferien gemeinsam am See in Buckow verbracht. Natürlich hat es diesen Tag in der Realität nie gegeben. "Abschied" ist kein Dokumentarstück, eher eine Verdichtung des Lebens Brechts.

Der große Autor ist krank, Die Weigel - genannt Helli - versucht, alle Aufregung von ihm fernzuhalten, was nicht einfach ist, wenn alle Geliebten sich auf einem Haufen befinden. Die Berlau stellt ihm betrunken und verletzt nach, die Reichel himmelt ihn geschickt an, jede verlangt Aufmerksamkeit vom sprunghaften Dichter, der sich eigentlich ausruhen sollte. Brecht bereitet sich innerlich schon auf die neue Theatersaison vor. Am Nachmittag kommen noch Manfred Weckwerth und Peter Palitzsch aus Berlin nach Buckow. Und dann ist da noch das schwarze Auto, das in der Nähe des Hauses parkt. Die Insassen wollen den auch in der Villa wohnenden Wolfgang Harich verhaften. Dazu treffen sie mit der Weigel eine Vereinbarung. Bis zu einem bestimmten Zeitpunkt sollen alle aus dem Haus verschwunden sein, und Harich darf nicht im Dienstwagen Brechts mitfahren. Sonst wäre er geschützt.

Alles vertraute Namen. Wer aber kongeniale Porträts der Personen erwartet, wird enttäuscht sein. Oder gerade nicht. Es geht hier nämlich nicht um eine illustre Gesellschaft in der Sommerfrische, eher um die widrigen Umstände, die Rivalitäten in einer Gruppe um einen großen Namen. Der schwächelnde Brecht, der den ganzen Tag seine Kappe sucht, ohne die er angeblich nicht denken kann, zieht immer noch junge Frauen in seinen Bann. Woran das liegt, beantwortet der Film nicht. Das ist auch nicht sein Anliegen. In "Abschied" sieht Genialität so normal aus. Brecht sitzt am Schreibtisch und tippt etwas. Käthe Reichel soll ihm vorlesen. Das Gedicht gefällt ihm nicht. Sie soll es zerreißen, weigert sich aber. Brecht sagt, dass sie recht hat und dass es doch gut ist. Vielleicht geht das so.

Der Film ist keine Demontage des Dramatikers. Sein Schürzenjägertum ist allgemein bekannt. Hier soll ein Tag wie ein ganzes Leben sein. Über allem liegt eine gewisse Wehmut. Selbst der Streit am Mittagstisch zwischen Ruth Berlau und Barbara Brecht ist zwar laut, aber fast schon episch. Buckower Elegie als Kammerspiel zwischen See, Garten und Haus. Der Meister hält Hof, er wird im Dienstwagen gefahren. Und er hat resigniert. Harich hält ihm das vor, er will Ulbricht stürzen, verfasst Flugblätter. Die Weigel vernichtet sie, als er aus dem Zimmer ist. Wen sie damit schützen will, ist nicht klar. Obwohl soviel geschieht, ist doch alles ruhig, bis der Wagen Brechts die Sperre passiert und Harich mit seiner Frau Isot Kilian verhaftet wird.

Wären da nicht die bekannten Namen, könnte es sich um ein Familiendrama handeln, um Resignation, Machtkampf, die Bedrohung von außen. So erzählen Jan Schütte und der Drehbuchautor Claus Pohl von einer längst vergangenen Zeit und einem Leben, mit dem sich Legionen von Wissenschaftlern beschäftigt haben, ohne sich zu verzetteln. Die Darsteller sind gut besetzt, Joseph Bierbichler als Brecht grantelt und schlurft glaubhaft durch die Szenerie. "Abschied" ist kein filmisches Denkmal, deswegen gerade sehenswert.

Das Berliner Ensemble eröffnet übrigens mit diesem Film am 7. September seine Spielzeit.

Ingrid Beerbaum

Abschied, Brechts letzter Sommer, Start am 7. September

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