Ausgabe 09 - 2000berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Berlin 1900

19. August

Zum Thema "GnŠdige Frau?" druckt der Berliner Lokal-Anzeiger am 19.8. einen Leserbrief von Martha H.: Auch ich bin eine deutsche Jungfrau gerade wie Fr. Erna Sch., und auch von sympathischem Aeu§ern wie sie, wenigstens wird mir das oft von Herren und auch von Damen versichert. Ob ich auch mit Geist und Herzensgaben gesegnet bin, das wage ich nicht zu sagen, denn ich bin gottlob wirklich noch bescheiden, nicht nur wie Frl. Erna Sch. mit dem losen Munde. Auch ich habe einen gro§en Freundinnenkreis, aber erfreulicherweise kein LesekrŠnzchen - was da schon gelesen wird! - und ich habe wŠhrend der letzten Woche sehr eifrig herumgehorcht und herumgeforscht, um die šffentliche Meinung wegen der Frage, wann eine "gnŠdige Frau" fŠllig ist, zu ergrŸnden.

Nun, ich mu§ offen gestehen: Alle meine Freundinnen, und ich an der Spitze, sind hocherfreut und wir fŸhlen uns sehr geschmeichelt, wenn uns ein Herr, besonders einer, der uns gefŠllt, "gnŠdiges FrŠulein" titulirt, uns die Hand kŸ§t, und im Ÿbrigen auch recht hšflich und liebenswŸrdig zu uns ist. Er kann uns auch getrost ein bischen die Cour machen, ohne gleich ans Standesamt zu denken. Was ist denn da dabei? Nein, es thŠte uns aufrichtig leid, wenn diese schšne Sitte so mit einem Schlage grŸndlich abgeschafft wŸrde, wir fŸhlen uns ganz wohl dabei; wenn man heutzutage schon so schwer geheirathet wird, dann will man doch wenigstens ein bisschen umschmeichelt werden. Sonst hat man ja garnichts von den MŠnnern.

Wir stimmen auch durchaus nicht in die niedrigen und beleidigenden Ansichten des FrŠulein Erna Ÿber die MŠnner ein, wir protestiren sogar mit allem Nachdruck dagegen und ich bitte den Herrn Redacteur, der ja doch auch ein Mann ist und fŸr diese Sache nicht gleichgiltig sein kann, um Abdruck dieses Protestes. Es giebt gewi§ werthlose Exemplare unter den MŠnnern und den Junggesellen insbesondere, aber es giebt auch zahllose edelmŸthige, brave und liebenswerthe Individuen, von denen verehrt, geliebt, und am Ende gar - schšner Gedanke! - geheirathet zu werden, jedem MŠdchen und jeder deutschen Jungfrau, freilich nicht vom Schlage des FrŠulein Erna, zur Ehre gereichen mu§.

Aber man kann es ja den MŠnnern garnicht verdenken, da§ sie ein Greuel vor dem Heirathen kriegen, wenn sie derartige Jungfrauen kennen lernen mŸssen, wie Frl. Erna Sch. sich entpuppt. Diese MŠdchen und ihre Berechtigung, uns und unsere Interessen vor der deutschen MŠnnerwelt zu vertreten, leugnen wir einfach ab. Sie haben nicht das Recht, im Namen der deutschen Jungfrauen in einer so wichtigen Sache zu reden. Diese MŠdchen sind es, welche die leider immer heftiger auftretende Ehescheu der MŠnner verschulden, sie schrecken jeden denkenden und fŸhlenden Menschen ab und bringen die deutschen MŠdchen vor den Augen der MŠnnerwelt in Verruf.

Und darum sage ich und mit mir alle meine Freundinnen: "Bleibt ruhig so galant, wie Ihr nur wollt zu uns, Ihr MŠnner, wir ertragen es gern und wenn auch mal ein "gnŠdiges FrŠulein" oder eine gnŠdige Frau an die unrechte Adresse kommt, wem thut´s weh? Wir armen MŠdchen ohne viel Geld und mit wenig Aussteuer haben ja so wie so keine Freude auf der Welt, warum sollen wir uns nicht wenigstens ein bisschen verehren lassen?"

Falko Hennig

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