Ausgabe 05 - 2000berliner stadtzeitung
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Archäologen, Pioniere, Trüffelschweine

Subkulturpioniere haben die ehemaligen Umspannwerke zuerst entdeckt

Die Entwicklung alter Industriegebäude zu gewinnträchtigen Verkaufs- oder Vermietungsobjekten wird gemeinhin als Erfolg gefeiert. Vor allem der Denkmalschutz ist erfreut über den Erhalt dieser Bauten, zum anderen nimmt die Öffentlichkeit gern zur Kenntnis, dass wieder geordnetes Leben, vor allem finanziell abgesichertes, in die ehemaligen Industriebrachen einzieht. Ausgeblendet wird bei dieser Entwicklung jedoch, dass diejenigen, die diese Standorte als erste wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt haben, nach einem kurzen Gastspiel aus diesen Räumen verschwinden müssen.

Nachdem es in den neunziger Jahren geradezu als äußerst geschickt galt, von einem Ort zum anderen zu ziehen, - die Flexibilität geradezu vorauseilend zum Programm erhoben wurde -, stellt man nun fest, dass die Ausweichquartiere rar werden. Die Entscheidung, ob man sich in der Offszene professionalisiert oder mit der Rolle des "naiven Zwischennutzers" zufrieden gibt, erscheint unausweichlich. Die Internetseite, die in Berlin leerstehende Räume zur vorübergehenden Nutzung anbietet, verschleiert da die Lage.

Wohlgepflegter Dämmerzustand

Am Beispiel des Umspannwerks Paul-Lincke-Ufer in Kreuzberg lässt sich rückblickend die Entwicklung im Detail nachvollziehen. Es gehört zu den elf Großumspannwerken der Bewag mit Flächen zwischen zehn- bis zwölftausend Quadratmetern in den inneren Stadtbezirken, die auf Grund veralteter Technik vom Stromnetz genommen, aber weiterhin vorbildlich geheizt und gepflegt wurden. Martin Kaltwasser, Architekt und Künstler, wurde Anfang der neunziger Jahre auf diese "innerstädtischen Freiräume, die seltsamerweise bis dahin kaum jemanden interessiert hatten", aufmerksam. Im Rahmen einer von Architekturstudierenden selbstorganisierten experimentellen Entwurfswerkstatt wurde im Winter 1993/94 eine Anfrage an die Bewag gerichtet, ob man denn nicht die hermetisch verschlossenen Umspannwerke mal von innen anschauen dürfe. Die Bewag reagierte zunächst äußerst zugeknöpft, ganz noch im Sinne der Frontstadtmentalität, die ihre Energieversorgung geheimhalten wollte, während man bei der Ebag im Osten zugänglicher war. So konnten die Gruppe das Umspannwerk "Humboldt" in der Kopenhagener Straße in Prenzlauer Berg betreten und sich von der faszinierenden Architektur inspirieren lassen. Nach einem erfolgreichen ersten Jahr zog man in ein besetztes Haus in Friedrichshain um und arbeitete als experimentelle Gruppe weiter. Schließlich gelang es nach zähen Verhandlungen doch noch in das Umspannwerk am Paul-Lincke-Ufer in Kreuzberg rein zu kommen. Martin Kaltwasser hatte inzwischen seine Diplomarbeit begonnen, in der er konkrete Vorschläge zur Nutzung des Umspannwerks erarbeitete. Er betrachtete das Vorhaben als "work in progress" und lud 50 Künstler und Künstlerinnen ein, um auch ganz konkret das brachliegende Gebäude zu nutzen. Aus diesem Vorhaben entstand im Sommer 1997 die Ausstellung "Sub - über unter Grund". Bis dahin war der Dämmerzustand des Gebäudes nur einmal kurz während der internationalen Bauausstellung 1987 durch eine kleine Ausstellung in der Maschinenhalle unterbrochen worden. Die fast ohne Geld realisierte Ausstellung "Sub" brachte also neues Leben in die Hallen und die labyrintischen Kelleranlagen. Das neu eingehauchte Leben fand auf einigen ausgelassenen Partys unvergessliche Höhepunkte, aber leider auch gehörigen Ärger mit Anwohnern und der Bewag, was "Sub" ein jähes Ende bereitete.

Die anschließende Entwicklung des Gebäudes zur begehrten Immobilie (inzwischen hat eine Investorengruppe das Umspannwerk erworben) veran-lasst Martin Kaltwasser rückblickend seine Rolle als "Entdecker" zu resümieren:

Vom Leerstand...

"Genug Zeit ist vergangen, um Bilanz zu ziehen. Die nachfolgenden Informationen stützen sich hauptsächlich auf Berichte von Björn, dem es als ,special effect´-Hersteller für Filmproduktionen gelungen ist, die Bewag davon zu überzeugen, sein Atelier im Umspannwerk einrichten zu dürfen, nachdem wir dort ausziehen mussten. Mittlerweile ist er schon zweieinhalb Jahre an diesem Ort.

Das Umspannwerk ist zu Beginn des Jahres 2000 an einen Investor verkauft worden! Trotz der Logik, die aus der Verbindung dieser Nachricht mit der Geschichte unserer Ausstellung spricht, habe ich mich gefragt, wer das sein mag. Sind es Verrückte? Leute aus Hamburg oder Süddeutschland? Kapitalanleger, Unternehmer, Developer, die die Verhältnisse vor Ort zu kennen glauben?

Wie dem auch sei, fest steht, dass das Umspannwerk schon bald nach unserer Ausstellung eine eigentümliche Karriere gemacht hat. Während wir noch mit den Folgen unseres Aufenthalts, mit Leerräumen und Säubern, beschäftigt waren, stellten HdK-Studierende ihre Werke aus. Dafür hatten wir ihnen Teile unserer Ausstattung zur Verfügung gestellt, unter der Bedingung, dass diese Studis verantwortlich für die Entsorgung sind. Deren Veranstaltung war ein dreitägiges Event mit Partys, Bar und einem Überraschungsgast: ein Spezialunternehmen für Umweltunfälle. Einer der beteiligten Künstler hatte nämlich die mit Maschinenöl- und Schwermetallresten verseuchte Montagegrube großzügig mit Wasser gefüllt. Die Grube war leider undicht, und ein undefinierbarer Cocktail begann in den Baugrund zu versickern. Außerdem hinterließ man Müllberge im Umspannwerk.

Wir bekamen aufgrund der "Sub"-Ausstellung eine Strafanzeige wegen Ruhestörung nachgereicht und mussten zahlen. Von der Bewag bekamen wir mitgeteilt, dass sie zukünftig nie wieder Künstler ins Umspannwerk ließen und dort auch unter keinen Umständen mehr Partys dulden würden, wegen der schlechten Erfahrungen.

... über Möbelschau...

So dachten wir, dass der Ort wieder zu seinem Dämmerschlaf zurückfindet. Doch schon bald veranstaltete die Filmklasse der HdK, unterstützt durch einen potenten Sponsor, eine Party - im Umspannwerk. Für etliche Filmproduktionen wurde der Ort bald zur Lieblingskulisse. Es folgten - Partys. Im Sommer ´98 öffnete eine Gruppe polnischer Künstler das Umspannwerk für eine große Werkschau. Die Berliner Presse, allen voran der ,Tip´, berichtete umfassend über die Ausstellung und zeigte sich völlig beeindruckt von der Entdeckung eines alten Umspannwerks. Welch eine location für Kunst und Kultur! Einer der beteiligten Künstler konnte dabei nicht der Versuchung widerstehen, die einzig verbliebene Arbeit unserer Ausstellung, den Kachelraum von Linda Fischer, als seine Arbeit auszugeben. Er hing ein Täfelchen mit seinem Namen in den Eingang zu dem Raum.

Im September ´98 zog ein Mieter für länger in das Umspannwerk und unternahm sogleich aufwändige Umbauten und Renovierungsarbeiten. Katanga! So nannte sich dieser Urberliner Händler, der eine Antiquitäten- und Möbelausstellung aufbaute, die durch exotische Skulpturen, Buddhas, Elefanten etc. ergänzt wurde. Die Katanga-Möbelschau warb im Hochglanzformat für die einzigartige Atmosphäre und das exotische Ambiente im Inneren des ,Spannwerks´, wie er den Bau komischerweise nannte. Spannwerk? Spannend? Spanner waren beim Herrn Katanga unerwünscht. So stellte er mich aggressiv zur Rede, als er mich dabei ertappte, wie ich mich mehr für das vertraute Gemäuer als für seine aufgepeppte Möbelschau interessierte. Dennoch war das Verdienst von Herrn Katanga die regelmäßige Öffnung des Umspannwerks für die Öffentlichkeit.

... zur High-Society-Location

Das Misstrauen von Herrn Katanga war letzlich begründet. Zum Januar 2000 wurde sein Mietvertrag gekündigt. Ebenso der Vertrag von Björn. Einer der Besucher wird wohl ein Investor gewesen sein. - Zwischendurch generierte übrigens der einstmals verborgene, verdreckte und faszinierende Ort zum Schauplatz richtiger gesellschaftlicher Yellowpress-Ereignisse: Ein Detlev-Buck-Heike-Makatsch-Movie (,Liebe deine Nächste´) feierte hier mit viel Schnickschnack vor jungem, hippen Publikum seine Weltpremiere. Das Premierenpublikum bekam in dem zum Obdachlosenasyl umgestalteten Gebäude die Häppchen vom kalten Buffet in Blechnäpfen gereicht.

Im Herbst ´99 feierte die Wochenzeitung ,Die Zeit´ ihre Ankunft in Berlin. Die Party dazu war - im Umspannwerk. Den herbeigeschafften Buffetservice des Hotel Adlon genossen Außenminister Joschka Fischer, Helmut Schmidt, Marion Gräfin Dönhoff, die Klatschreporter von Springer, Gruner und Jahr, Spiegel, Stern und so weiter.

Wenn man heute am Umspannwerk vorbeigeht, so merkt man ihm das alles keineswegs an. Äußerlich ist es unverändert. Vor zweieinhalb Jahren waren wir es gewesen, die das Umspannwerk der Öffentlichkeit geschenkt und dem Untergrund entrissen haben. Wir waren Wegbereiter, Archäologen, Pioniere, Trüffelschweine, Entdecker; diejenigen, die im Dreck gewühlt und die schönsten Entdeckungen gemacht haben. Wir waren auch diejenigen, die Grundlagenarbeit leisteten mit Entrümpelung, Bauantrag, teuren Sicherungsmaßnahmen und den vielfältigen Umnutzungen. Wir waren diejenigen, die eine zwangsläufige Entwicklung lostraten, die mit dem Nobel-Buffet und dem Investorenkauf nunmehr endet."

Übrigens: Im Umspannwerk "Humboldt" eröffnet am 1. Juli eine Dependance des Vitra Design Museums.
sas

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