Ausgabe 05 - 2000berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

Letzte Brigade vor der Abzweigung

Arbeitsförderung im Umbruch

"Das Arbeitsamt fördert seit neuem keine Künstler mehr", sagte Sabine*. Sie saß in dem hellem Büro, in dem auch eine Galerie untergebracht war. Die Scheiben zitterten wie immer, wenn Schwertransporte vorbeifuhren. Eine der kleinen Einrichtungen, die davon leben, Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger in Maßnahmen zu schleusen, Kontakte zu den Ämtern und den Politikern pflegen und halten. Förderprogramme ausfindig machen, Schulen und kommunale Einrichtungen suchen, an die sie ihre Angestellten ausleihen können. Einrichtungen, die von der Pauschale leben, die das Sozialamt zusätzlich an die Träger zahlt und vielleicht auch von den Fortbildungsgeldern, die an sich den zu Fördernden gelten und die nun unter der Hand Freizeit gegen die Unterschriften eintauschen, mit denen sie eine nie gemachte Fortbildung quittieren.

M.* erzählte, dass bei einem anderen Träger, der sich ebenfalls in dem Netzwerk des alten Ostens bewegt, seit neuem Kontrollen durchgeführt wurden. Das Arbeitsamt hatte Leute vorbei geschickt, Inspektoren, freundlicherweise am späten Freitagnachmittag. Einige verwaiste Arbeitsplätze wurden gefunden und verschiedene Indizien gaben zu der Vermutung Anlass, dass einer der Mitarbeiter klandestin in ein anderes Projekt delegiert worden war. Eine Katastrophe für den Träger, dessen einziges Kapital seine Bonität in Bezug auf das vom Arbeitsamt geforderte Profil ist. Eine unschöne Perspektive für die Landschaft der Projekte, die auch von dem faciamo co si einiger Träger lebt, die Leute delegieren und ausleihen, legal und illegal, je nach Absprache, je nach Notwendigkeit, weil man sich kennt, weil man um die teilweise unsinnigen Vorschriften der Ämter weiß und Stellen nach Maßgabe der Ämter und nicht nach den Erfordernissen des realen Lebens beantragt.

Der Wind ist schärfer geworden und hat gedreht, er weht nun gegenan. Der Wetterumschwung kam mit dem Regierungswechsel. Die Hand der Konservativen war milder, gleichgültiger, vor Wahlzeiten besonders paternalistisch, weil vielerorts Maßnahmen deswegen bewilligt wurden, damit die Arbeitslosen aus der Statistik verschwänden. Die SPD-Grünen-Regierung ist strenger, sparsamer und in ihren wohlmeinenden Worten schwingen die "Reformen" Dänemarks und Englands mit, die die staatliche Förderung an immer rigidere Auflagen gebunden hatten: das heimliche laissez faire der Konservativen, das von markigen Hetzreden wider die Sozialschmarotzer begleitet war, ist im Bereich des Arbeitsamtes am Verschwinden.

Der Betrieb, der eine Variante der Peitsche sein könnte, ist in einer Fabriketage untergebracht. Die Bilanzen sind positiv, was zumindest die Zahl der Stellen angeht. Über hundert Mitarbeiter, die Zahl wächst, auch wenn das, was da an eigenen Projektergebnissen seiner Medienwerkstätten präsentiert wurde, kaum verkäuflich und gelinde gesagt langweilig erschien. Das Unternehmen, genauer, der Träger, weitet sich aus, in den Armutsbezirken der Stadt eröffnet er überall neue Dependancen. Die Kräfte werden an Schulen und andere öffentliche Einrichtungen verliehen. Die Anforderungen, die man an die neuen Kräfte stellt, sind, was die disziplinäre Seite angeht, hoch. Einen Monat unbezahlte Mitarbeit, bei der kein Tag, egal ob mit ärztlichem Attest oder nicht, gefehlt werden darf, anschließend Probezeit. Bis zu einem Drittel der Angestellten wird im Laufe des Jahres entlassen, trotzdem erhält der Betrieb immer neue Leute. Ob sie alle zu diesem Träger freiwillig kommen, ist fraglich. Wahrscheinlich Angebote, die man nicht ausschlagen kann, wenn man in einem Sozialamt sitzt und bei der obligatorischen Arbeitsberatung eine Jahresstelle vermittelt bekommt: Wer sich nachweislich weigert zu arbeiten, dem können die Gelder gekürzt oder ganz gestrichen werden - doch der große Knüppel bleibt in etlichen Ämtern wider Erwarten im Sack.

Auch Sabine* wirkte in ihren modischen Kostümen tough, man hätte sie für eine erfolgreiche Angestellte halten können. Aber um sich rigide durchsetzen zu können, fehlte ihr in ihrem Verein die innere Prämisse, nämlich Leute bei Unbotmäßigkeit sofort entlassen zu wollen. Sie hatte ein Herz für ihre Leute. Vielleicht lag es auch daran, dass sie wirtschaftlich von Ihnen abhängig war und sie dann, wie jeder Vorgesetze in einer solchen Situation, nur auf Appelle an Goodwill und Gesten der Freundschaft zurückgreifen konnte. Teilweise versäumten einige Angestellten Termine, ein Freak brüstete sich öffentlich über die "permanent vacation" die er durchleben dürfte, und erschien kaum noch: Die Freiheit, die er für sich Anspruch nahm, ist einer der unendlichen vielen Kiesel, die in die Waagschale der Lösungen ˆ la Arbeitsdienst gelegt werden, gleich dem Willen der FPÖ, die die Arbeitslosen in Österreich jede Drecksarbeit verrichten lassen will.

Nach einem Jahr werden sie wieder gehen, die Angestellten, ABM-Kräfte oder Angestellten des Sozialamtes, um wieder arbeitslos zu sein, mit schönen Zeugnissen, die auf dem freien Arbeitsmarkt völlig wertlos sind - wer da bei Troste ist, muss sich in der Zeit neben der Arbeit eine neue Perspektive aufbauen, die der Träger nicht zu geben vermag, in dem einen Jahr, da der Druck von Seiten der Ämter genommen ist und die Geldnoten nicht mehr unter der Panzerglasscheibe des Sozialamtes durchgereicht werden. Direkte Angestellte des Sozialamtes sind gut bezahlt. Anderswo ist der Lohn bei Vollzeit karg: 1400 DM netto bei ABM für ungelernte Kräfte und den IDA-Programmteilnehmern. Integration durch Arbeit, ein Europa-kofinanziertes Programm, vom Senat wegen Geldmangels jetzt auf Eis gelegt, für ehemalige Sozialhilfeempfänger. Längst hat der Staat die Arena des Lohndumpings als Mitstreiter betreten. Bei IDA liegt das anschließende Arbeitslosengeld unter dem Sozialhilfesatz. Eine Drehtür, die von der Armut in die Armut schaufelt.

Das sah der 55-jährige ABM-Angestellte auch so, der mit seinem kaputten Rücken kaum mehr eine andere Arbeit annehmen konnte - trotzdem wirkte er glücklich, als er in irgendeiner Galerie mit seinen Kollegen Hölzer für eine Ausstellung zurechtschnitt. Vielleicht ist auch der materielle Blickwinkel falsch, weil es für manche Menschen wichtiger ist, unter ihresgleichen Arbeit zu haben? Oder, wie bei vielen selbstverwalteten Projekten, dasselbe im gleichen Schlendrian weiter machen zu können, ohne den Druck eines Amtes im Rücken? Mit einigen festen Stellen die kurzfristig Stabilität und Berechenbarkeit bringen könnten? An die unangenehme Arbeiten delegiert werden können? Ohne Mittel für Sachausstattung und mit zweitklassigem, unzuverlässigen Personal werden manche Projekte nie in die Gewinnzone rutschen. Und da es - Kleider machen Leute - manchmal auch an der Fähigkeit der Kommunikation gebricht, sich im Dschungel der Behörden zurechzufinden?

In Friedrichshain ist das Gesetz des Marktes und der politischen Sympathie für die kleineren Projekte fatal: Der "Kirchbauhof" aus Kreuzberg ist mit seiner Trägerholding zu einem jener Sozialkonzerne avanciert, die mit Immobiliensanierungen und Hochglanzprospekten aufwarten können. Das Bezirksamt, was der lokalen Untergesellschaft von "Kirchbauhof" nahezu alle Fördermittel der EU zuschiebt, erntet dafür Immobilien, die zwar, wie ein Verteter von Bündnis 90/Grüne im Fernsehen erläuterte, zu Teilen Verantwortlichen von "Kirchbauhof" gehören, aber dafür teilweise zu Marktpreisen vermietet werden. Im Erdgeschoss des inkriminierten Gebäudes ist dann auch ein Restaurant, was sich die ABM-Kräfte, die das ehemals besetzte Haus ausgebaut haben, wohl auch während ihrer Stelle nicht hätten leisten können - wofür auch, wenn einer Servicegesellschaft alles so glänzend gelingt?
Götz Müller-Zimmermann

*) Namen geändert

© scheinschlag 2000
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 05 - 2000