Ausgabe 05 - 2000berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Mein Inselleben in der Bergstraße

Eigentlich habe ich Glück gehabt. Zuerst gab es natürlich auch mit meinem Wohnhaus in der Bergstraße die in den Ostbezirken übliche Zitterpartie: Das Haus wurde an die Alteigentümer, in meinem Fall eine weitverstreute Erbengemeinschaft, rückübertragen und irgendwann verkauft. Danach kam dann auch die Ankündigung der neuen Hausverwaltung, dass in Kürze im Haus Bauarbeiten geplant seien.

Alles schien den in Mitte üblichen Gang von Modernisierungsstress und Mietsteigerung oder gleich Entmietung zu gehen. In Gedanken packte ich schonmal meine Koffer.

Überraschenderweise entpuppte sich unsere Sanierung als vergleichsweise harmlos. Das Haus ist zwar mittlerweile frisch verputzt, weiß gestrichen und instandgesetzt, doch immer noch bollert im Winter in meiner Wohnung der Kohlenofen und die Miete blieb noch vergleichsweise erschwinglich.

Während ringsum im in Mitte und Prenzlauer Berg üblichen, immer rasanter werdenden Tempo der gewachsene Kiez mit seinen vielen schrulligen Eigenheiten scheibchenweise stirbt und Raum für die neue Aufsteigergeneration der Hauptstadt in den schmuck sanierten Altbauwohnungen geschaffen wird, hat in unserem Haus eine sehr bodenständige und lebendige Mischung von Menschen aus verschiedensten sozialen Schichten und mit den unterschiedlichsten Lebensphilosophien überlebt.

Es ist weder eines jener Häuser, in die nach der Wende fast nur Studenten in die von den alten Mietern aufgegebenen Wohnungen eingezogen sind, noch eines jener Refugien von kreuzbiederer Muffigkeit.

Ostereier auf Obstbäumen

Ost und West, Alt und Jung, eher konservative Menschen oder solche mit Lust am Experimentieren an anderen Lebensentwürfen leben hier zusammen, es ist immer noch so etwas von einem Geist von Nachbarschaft in der Luft, in der man sich gegenseitig kennt und hilft, aber auch die Eigenheiten der anderen toleriert.

Famillie K. ist dabei so etwas wie der gute Geist des Hauses, sie kümmern sich seit Jahren um vieles im Haus, zu DDR-Zeiten eine Selbstverständlichkeit, wie sie erzählen. Auch in unserem Haus sei es mit der Nachbarschaftshilfe nicht mehr so wie damals, klagen sie manchmal. Eine familiäre, freundliche Atmosphäre ist ihnen wichtig, das kommt vor allem durch kleine nette Gesten zum Ausdruck. So hingen sie jahrelang einen Straßenbahnfahrplan als gutgemeinte Hilfe für alle Hausbewohner ins Treppenhaus, und jedes Jahr zu Ostern ist einer der Bäume im Hof mit Ostereiern behangen. Überhaupt der Hof, ein von Famillie K. und anderen langjährigen Mietern zu DDR-Zeiten in viel Arbeit geschaffenes Kleinod mit einer Wiese und blühenden Obstbäumen.

Doch keine Galerie

Mittlerweile hat Herr M., einer der nach der Wende neu eingezogenen Mieter, viele Arbeiten in diesem Garten übernommen. Der arbeitslose Handwerker verbringt einen großen Teil seiner Zeit damit, Neues anzupflanzen oder mit überraschenden Konstruktionen, etwa für eine Kompostecke, aufzuwarten. Im Winter konnte man ihn wochenlang durchs Küchenfenster dabei beobachten, wie er in den Bäumen herumkletterte, um alte Äste herauszuschneiden. Obgleich arbeitslos, hat er sich dadurch so etwas wie eine Stelle in seinem Haus geschaffen.

Herr M. lebt seine Philosophie von Leben im Einklang mit der Natur sehr konsequent: Die Fenster seiner Wohnung sind nie erleuchtet, da er die Nutzung von Elektrizität ablehnt.

Im Kontrast dazu wird die Erdgeschosswohnung neben Herrn M. von den abends hier entlangflanierenden Besuchern der umliegenden Restaurants und Cafés oftmals mit einer Galerie oder einem Fetischstudio verwechselt: An den mit grellen Farbornamenten bemalten Wänden hängen die bizarren, oftmals an Science-Fiction-Filme erinnernden Lederkreationen des Wohnungsinhabers.

Der zuletzt ins Haus zugezogene Mieter versucht sich seinen Lebensunterhalt mit einem Weinhandel, den er von seiner Wohnung aus betreibt, zu verdienen. Bis das Geschäft richtig anläuft, arbeitet er außerdem noch als Statist bei der Oper.

Gesellige Schwerhörigkeit

An warmen Sommertagen ist es natürlich der Garten, wo die Hausbewohner sich mal auf ein Schwätzchen begegnen oder mit ihren Freunden feiern. Manchmal ist es auch einfach schön, nur alleine im Hof zu sitzen und den Geräuschen der anderen Hausbewohner zuzuhören. Wenn Frau K. mit dem mittlerweile verstorbenen alten Mann im an den gleichen Hof angrenzenden Nachbarhaus telefonierte - und beide aufgrund seiner Schwerhörigkeit so laut schrieen, dass man ihren Dialog Wort für Wort mitverfolgen konnte, oder wenn der Pianist aus der Parterrewohnung des Nachbarhauses an den Sommerabenden auf seinem Klavier spielte.

Famillie K. und die anderen Leute, die damals beschlossen, den gepflasterten Hof zu entsiegeln und einen Garten anzulegen, dachten dabei in erster Linie an ihre Kinder: Sie sollten nicht nur Steine und im Hof abgestellte Autos als Spielplatz haben. Als der Garten fertig war, so erzählte mir Frau K., war im Hof an Ruhe nicht mehr zu denken, soviele Kinder, auch aus den umliegenden Häusern, kamen zum Spielen hierher. Es war damals immer was los hier, errinnert sie sich.

Als ich hierher zog, waren die meisten der Kinder von damals im Halbstarkenalter und veranstalteten im Hof zuweilen recht derbe Hockeyturniere, bei denen ich um meine Küchenfenster fürchten musste. Mittlerweile sind die Kinder auch nicht mehr hier.

Und manchmal kommen Menschen aus anderen Häusern, wie jene junge Frau, die eines schönen Samstagmorgens im Hof saß und mich fragte, ob ich Kaffee da hätte, sie wolle hier im Garten frühstücken, da es hier so schön sei.

Auf dem Weg zu den "Berghöfen"

Viele Menschen, die jahrelang diesen Kiez geprägt haben, sind verschwunden: aus ihren Häusern heraussaniert oder von sich aus in andere Gegenden gezogen, in denen das Umfeld für sie günstiger ist. In den Häusern um mich herum wurde oder wird zur Zeit die gesamte Bewohnerschaft ausgetauscht: Die hinter dem Garten gelegenen Häuser wurden komplett entmietet, 20000 Mark Auszugsprämie sind den Gerüchten nach den Altmietern gezahlt worden. Mittlerweile ziehen in die nun gelb angestrichenen Häuser mit ihren neuen, wie angeschraubte Plastikteile wirkenden Metallbalkonen die ersten neuen Bewohner ein.

In dem an unseren Hof angrenzenden Nachbarhaus verwandelt der neue Eigentümer, ein Bautischler, nach und nach, Wohnung für Wohnung in Appartments, denen mit Kochnische, neuen Türen, tiefergelegter Decke und hässlichen Plastikfenstern systematisch jeglicher Altbauflair ausgetrieben wird.

Die drei Nachbarhäuser zu meiner Rechten, mit ihrer Hinterhoflandschaft aus vielen kleinen Höfen, wurden im Block an einen Immobilienspekulanten verkauft, der ansonsten sein Geld mit dem Bau von Luxuswohnungen auf Sylt verdient. Werden sie nach der geplanten Sanierung und Umwandlung in Eigentumswohnungen wohl ganz dem Trend folgend "Berghöfe" heißen?

Auf jeden Fall wird schon munter damit begonnen, Mieter herauszukaufen. Denjenigen, die sich auf dieses Geschäft nicht einlassen wollen, wird schon mal drohend angedeutet, dass sie ja dann schon sehen werden, wie es sich auf einer Baustelle ohne Strom und Wasser leben würde. Wie wird es dabei der alten Frau ergehen, die hier seit Jahrzehnten wohnt und sagt, sie würde man hier nur mit den Füßen voraus rauskriegen? Anlass zu gehen

Derweil gehen gelegentlich die potenziellen Eigentümer der zukünftigen Luxuswohnungen auf Besichtigungstour durch die Häuser, der Verkauf hat nämlich schon begonnen. Teuer gekleidet, oftmals arrogant gegenüber den Altmietern auftretend, wird kein Hehl daraus gemacht, wer hier bald die neuen Herren sein sollen.

Gegenüber auf der anderen Straßenseite befindet sich das Haus Bergstraße 22. Hier startete in unserer Straße die Umwandlung: Mit dem Umbau des Hauses und der dazugehörigen alten Brauerei in teure Wohnungen und Büros, vornehmlich für Architekten, wurden Akzente gesetzt. Betont wurde dies noch mit dem Einzug des Luxusrestaurants Maxwell in die Brauereigebäude im Hinterhof. Laut einem Artikel der Stadtzeitung "Zitty" konnte das Maxwell sich rühmen, mit 500 Mark pro Person das teuerste Silvestermenü zum Milleniumswechsel aufzufahren.

Die Quittung für diese immer offensichtlichere und arrogantere Vereinnahmung der Nachbarschaft durch diesen Geldadel folgte auf dem Fuße: Im Winter dieses Jahres verübten Autonome einen Anschlag auf das Maxwell.

Unser Haus ist nun eine Art Insel, in der etwas von dem, das überall ringsum verschwindet, überlebt hat.

Gebietsbindung nennen Stadtsoziologen es, wenn Menschen trotz eines starken Umwandlungsdruckes in ihrem Kiez bleiben wollen.

Und Orte wie unser Haus oder der kleine Lebensmittelladen, der seine Kunden noch persönlich kennt, sind es, die immer noch so etwas wie ein Gefühl, hier zuhause zu sein, hervorrufen.

Fehlen irgendwann solche Inseln völlig, fühlt man sich mit der Zeit als Fremder im eigenen Stadtteil, und selbst für jemanden wie mich, der nicht unmittelbar durch Entmietung bedroht ist, gibt es keinen Grund mehr hierzubleiben.
Michael Philips

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