Ausgabe 05 - 2000berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

Herbert kommt nicht

"Frontbericht einer Ehe" im Theater im Kino zeigt die Trostlosigkeit des Wartens im Doppelpack

Früher verbrachten die meisten Menschen ihre Zeit mit Warten auf den Frühling oder darauf, daß etwas passiert, was selten genug war. Warten war etwas Alltägliches. Heute braucht man dazu den Fernseher. Und man schaut auch noch anderen Leuten dabei zu, die in Erwartung von ganz viel Geld 24 Stunden mit Warten, daß die Zeit vergeht verbringen, und der Rest der Republik schaut jeden Abend 45 Minuten Essenz des Ausharrens. Oder des Zeittotschlagens. Am Theater gibt es aus der absurden Abteilung auch schon mehrere Stücke zum Thema. Genau, Beckett!

Das Theater im Kino (TIK) hat nun mit "Frontbericht einer Ehe" gleich zwei Stücke um das endlose Warten ohne Hoffnung auf einmal inszeniert, ein "Zwei-für-ein-Angebot" sozusagen. Zum einen "Die Elche. Die Antilopen" von Oliver Bukowski. Zwei Wachmänner, Kaczmarek und Solter, warten auf ihre Ablösung. Die kommt aber nicht, und niemand benachrichtigt sie. Was sie bewachen, ist auch nicht klar. Kaczmarek (Bodo Goldbeck) ist der alte Spieß, der dem jungen Solter (Stefan Kaminski) immer mal wieder die Hammelbeine langzieht. Sie arbeiten schon eine Weile zusammen und haben bestimmte Rituale entwickelt um sich die Zeit zu vertreiben. Der Alte mag lieber die Antilopen, der Junge die weisen Elche. Die Tiere kennen sie aus dem Urlaub. Sie reden von Pflichterfüllung, dem Urlaub, von ihren Frauen und natürlich Sex. Echte "Männergespräche", die jedoch von Treueforderungen des einen und einem angedeuteten homoerotischen Verhältnis der beiden ad absurdum geführt werden. Auf das wiederholte Telefonklingeln reagieren sie nicht, benehmen sich wie ein altes Ehepaar, das sich aneinander gewöhnt hat und den Rest der Welt nicht hereinlassen will. Die Gewohnheiten könnten ins Wanken geraten.

Abgelöst oder unterbrochen wird der Dialog durch Helga aus Uwe Wilhelms "SOS. Sex, Overkill und Seelenheil" zum anderen. Die ist 25 und schon 5 Jahre mit Herbert verheiratet. Eben hat sie mit der Kreissäge die Möbel zerteilt und wartet im Sessel sitzend auf ihren Mann. Der ist nie da und kommt auch nie, jedenfalls nicht, wenn er soll. Sogar in der Hochzeitsnacht hat er sie drei Stunden lang versetzt. Jetzt reicht es ihr. Helga will abrechnen, und sie erzählt dabei ihr kurzes und wenig angenehmes Leben. Herbert war die zweite Wahl nach dem Kostümfest, wo ihr der Traumprinz begegnete. Bloß, der wollte sie nicht. Und da sitzt sie zwischen den kaputten Möbeln. Schwankt zwischen Haß und Abhängigkeit, vielleicht sogar Sympathie für den Loser. Sie reflektiert über ihr Dasein als Frau zwischen Schwangerschaft, Cellulitis, Therapie und läßt an Männern kein gutes Haar: "Der perfekte Vorname für einen Mann ist Godot." ist noch das Harmloseste. Helga will sich befreien, neues Leben anfangen oder sich umbringen. Sie schreit und wütet, wirft sich in Schale um wegzugehen, bleibt aber an der Tür stehen, als endlich das Telefon klingelt und Herbert sich ankündigt.

Beide Stücke werden in Abschnitten hintereinander gespielt. Dazwischen zeigen Puppen mit den stilisierten Gesichtern der Figuren mögliche Verknüpfungen zwischen den Gestalten. Die Bühne ist äußerst sparsam ausgestattet und variabel. Die zersägten Küchenmöbel sind mal Puppenbühne, mal Möbel, mal Wand. Mehr ist nicht nötig. Die Schauspieler pendeln zwischen schweißtreibendem Aktionimus und Agonie. So wie im richtigen Leben eben. Der Regie sind zum Ende hin jedoch die Zügel scheinbar entglitten. Und so verpufft die kannibalische Pointe vor lauter Ungeduld. Man hatte sich mit dem Titel "Frontbericht" eben einiges vorgenommen. Anrührend jedoch die Darstellung der Helga (Agnes Mann), beinahe wie im richtigen Leben, so unter uns Frauen. Letztenendes wird aber die Geduld des Zuschauers leicht überstrapaziert. Einzelinszenierungen wären wahrscheinlich besser gewesen.
Ingrid Beerbaum

"Frontbericht einer Ehe", Theater im Kino, Boxhagener Straße 18.5. bis 7.6., jeweils 20 Uhr

© scheinschlag 2000
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 05 - 2000