Ausgabe 04 - 2000berliner stadtzeitung
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Hausbesitz zum Hausabriss

Um sein Grundstück wirtschaftlich zu verwerten, vertraut ein Rechtsanwalt auf Gerichte, Zeit und Wetter

Das Klischee vom missgünstigen Vermieter schafft außer Furcht auch manchmal Widerstand und verhütende Gesetze. Geld aber gebärt unverändert Konflikte, und gegen private Wirtschaftsinteressen sind fast alle Gesetze kraftlos. Erst recht, wenn der strebsame Eigentümer gleichzeitig Rechtsanwalt ist, wie in der Husemannstraße 28 im Prenzlauer Berg. Dort steht der Besitzer allem Sanierungsrecht zum Trotz nach fintenreichen Jahren dicht vor seinem Ziel, dem Teilabriss des Hauses. Falls es die Öffentlichkeit duldet. Als dort im März die Wohnungen der letzten Mieter aufgebrochen und ausgeräumt wurden, derweil der Hausbesitzer allseits verkündete, dass dort niemand mehr wohne, war dies nur der vorläufige Gipfel einer langen Geschichte aus dem Genre Stadtentwicklungsdramatik.

1989, als die Fassaden um den Kollwitzplatz noch grau und lose waren, Außentoiletten und Kachelöfen den Standard bildeten und ganze Häuserreihen zum Abriss anstanden, hatte im Südteil der Husemannstraße eine Vorzeigerestaurierung stattgefunden - kokett imitierte sie jenes Flanierleben, das heute angeblich der Sinn des Kiezes ist. Das Haus Husemannstraße 28 lag damals im unsanierten Straßenabschnitt, und das verdüsterte seine Perspektiven. Das Hinterhaus stand fast leer, der zweite Hof hin zu einem ehemaligen Kuhstall und Reparaturschuppen war fast einen Meter hoch von Müll bedeckt. Im Dach regnete es durch. Gerettet wurde das Gebäude trotzdem. Denn im Winter 1989/90 belegte eine Schar von Musikstudenten die Behausungen, räumten den Abfallberg vom Hof, strichen Flure, Türen, Fenster, sie bepflanzten die Fassade, heizten und versuchten, das Dach abzudichten. Sie verglasten auch die Scheiben des Schuppens, aus dem ein Konzerthaus hätte werden sollen, der aber doch der Abrissbirne anheimfiel. Die Studenten pflanzten Bäume und lebten ihren Traum vom Musikerhaus. Im Juli 1990 schloss die Kommunale Wohnungsverwaltung mit ihnen Mietverträge ab. Eine Exposition mit Hoffnung.

Weiter folgte das Geschehen dem Strom der deutschen Vereinigung. Die KWV wurde von der WIP abgelöst, Mietsubventionen immer geringer. Umstandslos wurde das Haus Nr. 28 einer Alteigentümerin übertragen, die ihren unerwarteten Besitz schnell zu Geld machen wollte. Dabei wurde der Hausfrieden im Frühjahr 1993 einen Moment lang getrübt. Die Konfliktentwicklung beginnt. In der Husemannstraße 28 erschien ein kleiner, stämmiger Besucher, der sich vorzustellen ablehnte, aber das Anwesen gründlich beschaute. Das großzügige Vorderhaus stellte ihn offenbar zufrieden. Beim Betreten des Hinterhauses dagegen knurrte er ärgerlich ungezügelt: "Was ist denn das für eine Pisshütte?!" Sein Missfallen hinderte den Gast, Herrn Jura-Professor Dr. Lutz Hambusch aus Niedersachsen, jedoch nicht, Haus und Hof zu erwerben, um daselbst eine Praxis als Rechtsanwalt in der neu gekürten Hauptstadt zu eröffnen und sich der Förderungen und Steuerermäßigungen zu erfreuen, die der aufbauwillige Staat zum Wohle von Investoren und Allgemeinheit ersann.

Glückwünsche zum Konzept

Gleich anderen beantragte Dr. Hambusch 1994 die Förderung von Instandsetzung und Modernisierung aus dem Programm "Soziale Stadterneuerung". Mit einer Mietpreisbindung von 20 Jahren und Einstiegsmieten von 5 bis 5,50 DM/m2 war es sozialer als all seine Nachfolger. Dazu kümmerte sich die Beauftragte der Mieterberatung im Deal zwischen Privat- und Gesellschaftsinteressen aufopferungsbereit um die Bewohner. Die amtliche Sanierungsverwaltung nahm Anteil, der Architekt, ein Altbaufreund, integrierte Mieterwünsche gutwillig in die Planung, und der Eigentümer ließ übermitteln, er habe sich "sehr mit dem Haus identifiziert und plant, selbst im Haus zu wohnen. Eine befürchtete Vertreibung der Mieter ist damit nicht verbunden."

In der Husemannstraße 28 stand offenbar ein menschenfreundlicher Wohnungsbau an. Wer nahm da die gleichzeitige Warnung ernst, dass der Eigentümer "bei Verwehrung seiner Interessen überprüfen wird, ob sich die Finanzierung mit öffentlichen Mitteln noch durchführen lässt"? Gemeint waren der Dachausbau im Hinterhaus und die Privatwünsche des Dr. Hambusch: Zwei Etagen im Vorderhaus wollte er selbst bewohnen, ein Erdgeschoss zur Kanzlei ausbauen und im Hof einen Wintergarten errichten. Gern staatlich gefördert. Ein retardierendes Moment. Doch wurde Hambuschs Ansinnen teilweise stattgegeben, und schon Ende 1994 erhielten die Mieter Glückwünsche zu fertigem Sanierungskonzept und baldiger Umsiedelung. Die letzten Hürden beseitigten 1995/96 der Ordnungsmaßnahmenvertrag und die Baugenehmigung. So zogen die ersten Bewohner aus, einige für immer, andere mit Modernisierungs- und Rückkehrvereinbarung.

Da hatte Herr Hambusch eine unverhoffte Idee. Im März 1996 lud er die Mieter zu einem Mittagessen ein, um Bauplanänderungen zu besprechen, die "ohne Mehrkosten erhebliche Verbesserungen" einbringen sollten. Aber den Mietern behagte nicht, Einbauküchen und Großraumbäder hinzunehmen, um dafür ein großes Fenster mehr zu erhalten. Durften sie sich aber solcher Menschenliebe verschließen? Die Kulmination und Strafe folgte nur Tage später. Baumeister Hambusch kündigte mehreren Bewohnern des Vorderhauses wegen Eigenbedarf und allen im Hinterhauses wegen "unvertretbarer finanzieller Belastungen meiner Familie". Eine "wirtschaftliche sinnvolle Verwertung des Grundstücks" könne nur geschehen, "wenn das Quergebäude abgerissen wird", was er "sehr bedauere". Gleichzeitig verließ Dr. Hambusch die unterschriebenen Förderverträge. Sie enthielten quasi kein Mittel gegen solch einseitigen Ausstieg des Geförderten. Einsprüche der Mieter ließ der Hausherr unbeantwortet, aber an einem der Bewohner beschloss er seine Weltsicht durchzufechten. Und die war so abenteuerlich ahnunglos wie unverfroren. Sie suchte nichts Geringeres, als den Einigungsvertrag neu zu deuten.

Fristgerechte Winkelzüge

Die KWV sei zu Mietverträgen in eigenem Namen überhaupt unberechtigt, meinte Dr. Hambusch, und das Verbot der Eigenbedarfskündigung zwecks wirtschaftlicherer Verwertung längst fraglich. Jener Mieter habe außerdem seinen Vertrag gefälscht und auf Juli 1990 zurückdatiert. "Hier hat der Beklagte offensichtlich eigenmächtig Hausbesitzer gespielt und die Zeiten der Anarchie (...) in den letzten Wochen der DDR-Epoche (...) ausgenutzt, wie es auch im damals vereinbarten Mietzins von 34 Mark (!) zum Ausdruck kommt", schwadronierte der Rechtsanwalt, der die Mietsubvention jener DDR ja nicht ahnen konnte. Die Klageunterlagen lassen indes ahnen, dass Hambuschs Hauptproblem im Geld bestand. Bei zwei Millionen Mark Eigenanteil plus Kaufpreis und drei Millionen Mark Förderung plus 30 000 Mark Jahresmiete entstehe eine Rendite von nur einem Prozent, rechnete er vor. Dies mache die Wiederherstellung des Quergebäudes wirtschaftlich unvertretbar und begründe seinen Anspruch auf Abriss, "mag es dem Beklagten gefallen oder nicht", schloss der Finanzier - nicht ohne zu beschreiben, wie teuer und beengt er wohne und praktiziere. Bei weiterer Verzögerung müsse er in einen Bürocontainer ziehen.

Erwartungsgemäß verlor Dr. Hambusch den Prozess. Zur selbst gewählten Berufung erschien er ebensowenig wie zu Gesprächen über den Wiedereinstieg in die Förderverträge. Gleichzeitig beklagte er den Kooperationsmangel der Behörden. Die Sanierungsgenehmigung verlor er, und während das Bezirksamt noch im Herbst 1996 versicherte, nie einen Abrissantrag bekommen zu haben, fragte Dr. Hambusch nach dessen Bearbeitungsstand. Jahrelang zahlte er weder Baufirmen noch Behörden jene Gelder zurück, die das Sanierungverfahren bereits gekostet hatte. Erst nachdem 1999 die Husemannstraße 28 zweimal zur Zwangsversteigerung ausgeschrieben wurde, überwies Dr. Hambusch jeweils kurz zuvor die Beträge. Für die verbliebenen Bewohner aber wurde das Leben im Haus immer unzumutbarer. Reparaturen gab es gar keine mehr, das Dach schimmelte, Einfrierungen im Winter blieben unbehoben. Dann fehlten WCs und Türen, bald auch mal Wasser, mal Strom, Briefkästen waren zerstört. Schließlich ließ der Besitzer neue Torschlösser einbauen. Die Mieter suchten sich Ausweichquartiere, aber nutzten und bezahlten doch, gemindert, ihre Wohnungen weiter. Beträchtliche Betriebskostenguthaben behielt der Rechtsanwalt ein, und als ein Mieter sie kürzlich einforderte, antwortete ihm Dr. Hambusch mit einer Räumungsklage. Ende April soll sie verhandelt werden.

Doch noch zur "Pisshütte" verkommen

Seit November 1999 nimmt der Rechtsanwalt nun einen neuen Anlauf zur wirtschaftlichen Verwertung seines Hauses. Mit seinen Antrag auf Privatmodernisierung kam er der Leerstandsbeseitigungsanordnung des Bezirksamtes eben zuvor. Die fehlende Baugenehmigung will er vor Gericht erwirken und versichert dabei, es gäbe keinerlei Mieter mehr. Auch alle Subunternehmer und Bauarbeiter erhielten diese Information. Mitte März fanden die Mieter ihre Wohnungen brutal aufgebrochen, zum Teil fehlten Instrumente und teure Literatur. Den kurz zuvor verordneten Baustopp versucht das Bezirksamt seither zu kontrollieren - nahezu vergeblich. Während es nur noch die Hofberäumung erlaubte, holten die Arbeiter den Schutt weiter aus dem Haus, wo Schornsteine und Dielen, Stuck, Fensterfassungen und Zwischenwände schon herausgerissen sind. Der Baumüll auf dem Hof wechselt so einfach. Im Hinterhaus aber wird derweil der Metall- und Holzschutt abgelagert. Es sieht nun schlimmer aus als 1989. Im Besitz von Dr. Hambusch ist es doch noch zur "Pisshütte" verkommen. Und der Rechtsanwalt weiß: Zeit und Wetter spielen für ihn, möge das Recht auch gegen ihn sein. Eines Tages wird der Abriss unausweichlich. Selbst nach Sanierungsregeln.
Peter Burger

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