Ausgabe 04 - 2000berliner stadtzeitung
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Das ist halt so ´ne Clique
Jugendliche in Einkaufscentern

Vor allem in den östlichen Außenbezirken Berlins sind nach der Wende Einkaufszentren wie die Pilze aus dem Boden geschossen. Historisch gewachsene Einkaufsstraßen sind hier nahezu unbekannt. Diese Einkaufszentren, die die Versorgungslücken in den Plattenbauvierteln schließen, sind von Investoren errichtet werden, die ihren Kunden einen trockenen, sicheren und bequemen Einkauf ermöglichen wollen.

Aber nicht nur einkaufswillige Erwachsene zieht es an diese Orte. Wenn die Jugendlichen in ihrer Freizeit der Ödnis der Betongebirge entkommen wollen, treffen auch sie sich gerne in der glitzernden Warenwelt. Dann trifft jugendlicher Bewegungsdrang auf die Statik der Center-Ordnungen, und die Probleme beginnen.

Stefan Schützler und seine Mitarbeiter haben das Problemfeld untersucht, indem sie zu den Jugendlichen hingegangen sind und sie zu den Motiven und den Umständen ihres Aufenthalts befragt haben. Die Jugendlichen kommen in langen Textpassagen ausgiebig zu Wort. Den Autoren zufolge träfen sich die Kids im Einkaufszentrum, um Gleichaltrige zu sehen, die ebenfalls dorthin kämen. Zum zweiten treibe sie die Konsumhaltung dorthin, die sie dort ausleben könnten. Drittens seien die Angebote der Einkaufszentren (Aktionen und dergleichen) vor allem für Jugendliche interessant. Sie stammten vor allem aus der Mittelschicht; der Anteil der Gymnasiasten sei gering.

Die Jugendlichen treffen sich an Einkaufszentren, weil es in traditionslosen Vororten keine gewachsenen Kommunikationsorte gibt. In den Worten eines der Befragten: "Und... das ist halt so ´ne Clique, die sich trifft, naja weil,... weil, guck mal, du hast einfach keine andere Alternative, weißte, wenn du jetzt zum Beispiel von Arbeit kommst, da haste keine große Lust mehr, jetzt noch irgendwo etwas großartig zu machen. "In der Regel trifft man sich dort, ohne ein weitergehendes Ziel zu haben. Nach dem typischen Tagesablauf einer Center-Clique befragt, antwortet einer: "Na, man kommt hin, sitzt den ganzen Tag da rum, unterhält sich. Die meisten holen sich, gleich wenn sie da hin kommen, ein Bier oder so, und dann sitzen sie von nachmittags bis abends oder so und saufen meistens, unterhalten sich und hauen dann wieder ab."

Eher mit- als gegeneinander

Es ist warm, man trifft Bekannte und kann seine Zeit totschlagen. Das Einkaufszentrum hat die Funktion ähnlich einer Eckkneipe übernommen - und zwar mit allem, was sie so sympathisch und abstoßend macht. Einerseits ist die Clique ein Ort der Solidarität: "(Wir erzählen) was in der Ausbildung passiert und wenn man zu Hause Probleme hat, erzählt man auch die halt und dann gibt der eine oder der andere Ratschläge, wie kann man das ändern und das ändern und so." Andererseits ist der Stammtisch der Nährboden für allerlei dumpfes Gedankengebräu: "Ich hab wirklich nichts gegen Ausländer! Die schicken die Ausländer rein, rein, rein... Und keiner wird mehr weggeschickt. Deutschland besteht, find ich, kaum noch mehr aus Deutschen. Mehr so aus Ausländern." Die Autoren der Studie haben den Jugendlichen "aufs Maul geschaut" und liefern aufschluss-reiche O-Töne.
Ein besonders witziges Kapitel ist dem "Massenauflauf" gewidmet. Dabei handelt es sich um ein Phänomen, das für die Passage gravierende Konsequenzen haben kann: Aus einem unbekannten Grund wächst die Zahl der Jugendlichen vor Ort auf viele Dutzend an; die Einkaufsmeile kann dadurch gleichsam lahmgelegt werden. Irgendwann jedoch verliert dieser Ort an Attraktivität, die Jugendlichen treffen sich woanders. Die Gründe für das Kommen und Fernbleiben bleiben den Erwachsenen verborgen.

Doch Jugendliche sind in Einkaufszentren wohlgelitten, wie die Befragung von Managern der Malls ergeben hat. Sie werden auch dann geduldet, wenn sie nicht einkaufen. Gelegentlich arbeiten die Manager auch mit Schulen und Behörden zusammen, um Probleme konstruktiv zu lösen. Im Verhältnis zwischen Jugendlichen und Einkaufszentren ist insgesamt also "eher ein Mit- als ein Gegeneinander zu verzeichnen".
Das Thema, das die Autoren bearbeitet haben, ist aktuell und wichtig. Die Autoren geben einen Einblick in die aktuelle Materie, und das Buch ist gut zu lesen. Dass die Autoren keine Wissenschaftler sind, sondern aus der Praxis kommen, tut dem keinen Abbruch.

Zu tadeln aber ist, daß Schützler und seine Mitautoren ihre Vorurteile über die "Konsumtempel" und die vermeintliche "Konsumorientierung" der Jugendlichen nicht ablegen. Sie halten an ihrer Annahme, dass sich die Jugend von heute dem "Konsumrausch" hingibt, fest, obwohl diese Annahme auch widerlegt wird, sowohl von den Jugendlichen als auch von den Autoren selbst. Dass Orte, an denen man einkaufen kann, auch eine soziale Funktion haben und deshalb auch positiv bewertet werden sollten, wollen sie offenbar nicht gelten lassen.
Benno Kirsch

Stefan Schützler u.a.: U.S.O. - Das Buch. Jugendliche Gruppen an und in innerstädtischen Einkaufszentren Berlins, hg. von Kietz für Kids e.V., fon 92 09 41 - 63, Berlin 1999, 128 S., 25 DM

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  Ausgabe 04 - 2000