Ausgabe 04 - 2000berliner stadtzeitung
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Quo vadis, Tacheles?

Zum Stand der Dinge auf dem Tacheles-Areal

Eine Kuriosität war es, daß - bis Ende 1998 der Tachelesverein einen Mietvertrag mit der Immobiliengruppe "Fundus" unterschrieb - alljährlich hunderttausende Besucher und Berlin-Touristen einen quasi illegalen Raum betraten und im Grunde genau diesen Charakter bestaunt haben. Erreichen nun die Errungenschaften des "Goldenen Westens" auch das Tacheles?

Eine Chronik des Hauses:
1909 als eine der ersten Stahlbeton-Konstruktionen Europas errichtet, erlag das "Passage-Kaufhaus" bereits 1914 der Pleite und wurde zwangsversteigert. Eine Neubelebung erfuhr es 1928 als "Haus der Technik" der AEG. Ab 1933 übernahmen diverse NS-Organisationen, u.a. die SS, Teile des Gebäudes. 1943 waren französische Kriegsgefangene im Dachgeschoß interniert und zur Arbeit in einer heute unbekannten Produktion im Haus gezwungen. Der Gebäudekomplex wurde bei Luftangrif-fen mittelschwer zerstört. Ab 1948 bezog nach und nach eine bunte Mischung das Haus: Der FDGB, die staatliche Artistenschule, verschiedene Läden, die Bezirksfilmdirektion, die Fachschule für Außenwirtschaft und das Kino Camera. Wegen starkem Verfall und zugunsten einer Straßenplanung wurde Anfang der 80er Jahre mit dem Abriß begonnen. Der Beseitigung des letzten Gebäudeteils kam die Künstlerinitiative Tacheles am 13. Februar 1990 durch Besetzung zuvor; sie wurde als Tacheles e.V. anerkannt und konnte eine Duldung sowie den Denkmalschutz des Gebäudes durchsetzen. Der Versuch des Skanska-Konzerns 1992, das Haus zu übernehmen, endete in der Pleite. Seitdem engagiert sich der noble Kölner Investor Fundus, ein Unternehmen, das mittlerweile ebenfalls als finanziell angeschlagen gilt. 1993 integrierte sich Fundus zunächst in einen "kooperativen Planungsansatz" mit dem Bezirksamt Mitte und dem Tachelesverein. Der Bebauungsplanentwurf von 1996 sah das Tacheles noch als wesentlichen Bestandteil eines großen Platzes vor: "Das Ei am Tacheles". Insgesamt erwies sich das Konzept jedoch als unverhältnismäßig und aus Protest lehnte der Tacheles e.V. 1997 die Unterschrift eines Nutzungsvertrages mit Fundus ab. Daraufhin hagelte es Kündigungen und Räumungsklagen. Die angedrohte gewaltsame Räumung durch die Polizei erzwang schließlich die fehlende Unterschrift.

Der Mietvertrag mit dem Tacheles e.V. war das letzte rechtliche Mosaiksteinchen, welches Fundus fehlte, um Eigentümer des fast 24 000 Quadratmeter großen Gesamtareals zwischen Oranienburger und Johannisstraße zu werden. Der Bund als bisheriger Eigentümer gab mit dem Verkauf des Grundstücks die Verantwortung für dessen stadtsoziologische Entwicklung an ein Privatunternehmen weiter und verspielte die Chance auf eine an öffentliche Belange gebundene Nutzung.

Keine künstlerischen Improvisationen

Vieles deutet darauf hin, daß Fundus beabsichtigt, den 10-Jahres-Mietvertrag für das Tacheles, von dem noch acht Jahre übrig sind, nicht zu verlängern. Im Moment steht das Haus kurz vor Beginn der Sanierungsarbeiten - ein Abschied von den künstlerischen Improvisationen und sozialen Freiräumen? Zwar ist das große "Reinemachen" offenbar noch nicht vorgesehen, versinkt das Tacheles doch in den nächsten Jahren in einer Großbaustelle. Geplant ist der Einbau von Heizungs- und Sanitäranlagen, die Nutzbarmachung des Ruinenbereiches sowie die Herstellung der Brand- und Versammlungsstättensicherheit. Zu welchen Konsequenzen die Anwendung des Baurechts im Detail letztendlich führen wird, ist noch nicht absehbar - der Betrieb ist bisher jedoch auch ohne zusätzliche Toilettenbatterien und sog. "Affenschaukel"- Deckenträgerverstärkung gut ausgekommen und wird mit dem Einzug der Baufirmen in bester Sommerzeit unterbrochen.

Für die Betreiber der Freifläche ist die "neue Realität" bereits eingekehrt, sie sind aus ihren Einrichtungen ausgezogen: Im Zuge der Sanierung des dem Tacheles gegenüberliegenden Johannishofs zum "Media Business Centre" sei es nach Meinung von Fundus notwendig, wegen der Arbeiten an dessen Brandwand sicherheitshalber das Gartenhaus, die R-Volksbühne und den Roboshop abzureißen. Ob die Arbeiten an der Brandwand zu wichtig seien, als dass sie nicht an den Gebäudeteilen haltmachen könnten, so daß eine Zwischennutzung bis zu einem möglichen Anbau möglich wäre? - Den verdutzten Betreibern wurde mitgeteilt, es könne ja ein Hammer auf den Kopf eines Besuchers fallen - als würde man in Berlin nicht täglich unter Baugerüsten umherlaufen, auf denen gearbeitet wird! Zudem hätten sie in dem vom Tacheles e.V. unterschriebenen Vertrag keinerlei Nutzungsrechte auf dem Grundstück und der Londoner Eigentümer wünsche eine Komplettsanierung des Johannishofs.

Wird die Freifläche diesen Sommer also wie geplant zum Rangierplatz für Baustellenverkehr? Bis September dieses Jahres ist es der R-Volksbühne gestattet, eine kleine Insel im Mittelbereich des Platzes zu bespielen. An-schließend ist beabsichtigt, das gesamte Gelände "baureif" zu machen. "Garten" ade?

Es ist offensichtlich, daß hier schon Jahre vor Baubeginn des Gesamtprojekts vollendete Tatsachen geschaffen werden sollen. Denn auch nach über acht Jahren Planungszeit ist man von einer sinnvollen städtebaulichen Konzeption weiter entfernt als je zuvor.

Stadtentwicklung als Privatsache

Nach einem von Fundus initiierten Wettbewerb unter einigen ausgesuchten Architekturbüros waren zuletzt zwei Entwürfe in der Endauswahl, die Anfang Februar in der Berliner Morgenpost veröffentlicht wurden.

Der amerikanische Architekt Daniel Libeskind versuchte zwar, durch Vermeidung rechter Winkel interessante Räume zu schaffen, jedoch sind die Anschlüsse an örtliche Gegebenheiten - gerade am Johannishof - mangelhaft. Der "Stachel", der dem Tacheles bedrohlich nahe kommt, ist ebenso unverständlich wie das Hochhaus "Monbijou-Tower".

Der Entwurf von Rob Krier, aus dessen Feder auch das Fundus-Projekt Hotel Adlon stammt, weist jede Zurückhaltung vom Tisch: Auf der Freifläche, heute noch bunter sozialer Freiraum, sieht er "Shopping-Arcaden" vor, dem Tacheles verbleibt nur ein schmaler Hinterhof. Der Entwurf strotzt vor imperialen Gesten, wie etwa der "attraktiven Vorfahrt" des angedachten Luxushotels im östlichen Bereich und stellt insgesamt eine städtebauliche Katastrophe dar.

Beide Planungen fallen qualitativ noch hinter das "Ei am Tacheles" zurück und spiegeln die sozial ruinösen Vorgaben des Auslobers wider. In skrupelloser Manier wird auf das renditeversprechende "obere Drittel" der Gesellschaft spekuliert und die überwiegende Mehrheit zu Zaungästen degradiert.

Das Stadtplanungsamt ist gefragt, sich nicht mit einem übereilten städtebaulichen Vertrag an eine Fundus-Variante zu binden. Gegebenenfalls muß ein neuer, offener Wettbewerb stattfinden, der sozialverträgliche Mischnutzungen festschreibt.

Warten auf bessere Zeiten

Diskussionsforen müssen in Gang gebracht werden, um die Nutzungen durch eine Bedarfsanalyse zu ermitteln. Anstelle wie bisher hinter verschlossen Türen im Geheimen zu planen und die Öffentlichkeit nur mit vorläufigen Endergebnissen zu konfrontieren, muß der Entwicklungsprozeß demokratisiert werden. Er kann bei einem Grundstück dieser Größenordnung nicht Privatsache sein.

Solange Investoren mit dem Kapital, das den öffentlichen Haushalten fehlt, renditeorientierte Stadtentwicklung diktieren und dabei immer reicher und mächtiger werden, steht die Mehrheit außen vor - dies ist das Gegenteil einer demokratischen Gesellschaft.

Bevor die Tacheles-Freifläche zum Shoppingcenter verkommt, ein Luxushotel oder gar ein angedachtes Hochhaus entsteht, sollte man eine lebendige Brache den "Pudelsalons" ˆ la Adlon, Plaza-Center oder Quartier 206 vorziehen und auf bessere Zeiten warten.
Bund kritischer Architekten

Es existiert bereits eine Alternativplanung zum Gesamtareal, die dem Begriff der behutsamen Stadterneuerung entspricht. Infos: Bund kritischer Architekten, c/o Carsten Joost, fon 29 00 19 76

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