Ausgabe 04 - 2000berliner stadtzeitung
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Kulturelles Stehvermögen

Die Schließung eines Opernhauses spart Geld - irgendwann.
Und was dann?

Holter-di-polter hat Berlin seine Kultursenatorin Christina Thoben verloren und Christoph Stölzl erhalten. Die blamierte CDU erklärte flugs: Thoben fehlte Stehvermögen und Kulturkenntnis. Leute wie der Kulturhändler Peter Dussmann meinen: Eine "fähige Frau" sei an "typischen Berliner Intrigen und der ebenso typischen Berliner Angst vor unpopulären Entscheidungen gescheitert." Dritte erinnerten sich an Thobens leutseligen Vorgänger Peter Radunski, der ausgerechnet abtrat, als die wuchernden Defizite seiner Institutionen das Scheitern seiner Sparrhetorik unverkennbar machten. Was Radunski, Thoben und Stölzl eint: Weniger für die Erweiterung der Kultur (und der Wissenschaft) sollten sie kämpfen als dafür, ihre Kosten zu senken und die Kultur doch nicht zerfallen zu lassen. Jetzt veröffentlichen die Zeitungen wieder Tortenbildchen, auf denen die Fakten klar ablesbar sind: Von voraussichtlich 41,725 Milliarden Mark im Landeshaushalt 2000 sollen 4,367 Milliarden in Stölzls Etat fließen, davon 750 Millionen Mark in die Kultureinrichtungen, so der "Tagesspiegel". Die "Berliner Zeitung" zählt dagegen 929 Millionen Mark für die Kultur: 225 davon gehen an die Opernhäuser, 182 an die Theater, 102 an die Museen des Preussischen Kulturbesitzes, 134 an "große Einzelposten" wie Landesbibliothek, Technikmuseum oder Orchester, 286 an "über hundert kleine Posten" wie die Akademie der Künste oder die Berliner Festspiele.

Geld ja, aber wofür?

Aller Ziel besteht in möglichst weitreichender öffentlicher Kulturförderung. Da sich aber selbst die Begünstigten immer für schlecht versorgt halten, fordern Kulturliebhaber gern zuerst mehr Geld. Dabei ist der Berliner Haushalt eklatant überschuldet. So ist der Traum indiskutabel, solange auch Schulen, Jugend- und Sozialeinrichtungen, Arbeitsförderung, der öffentliche Nahverkehr oder Grünanlagen unterfinanziert sind - Dinge, die ebenso unersetzliche Lebenskultur verkörpern (und die Verantwortungslosigkeit der Diepgenschen Geldverschwendung für hypothetische Olympiahallen oder U-Bahntunnel zeigen).

Angesichts ihres Finanzkrachs erklären Berlins Lokalmatadoren nun vorzugsweise den Bundesetat für zuständig, die Geldlöcher der Haupstadtkultur zu stopfen, etwa durch 150 Millionen Mark statt bislang 100 Millionen für bundesweit bedeutsame Einrichtungen. Mehr Kultur brächte das zwar nicht, nur mehr Gewissheit, dass ausgebenes Geld auch bezahlt wird. Zudem bewog alles Berliner Rufen Michael Naumann bisher nicht, seinem Kanzler weitere Mittel aus dem defizitären Bundeshaushalt abzubitten. Das vorhandene Geld muss also reichen. Da verschleiert die Losung, mal wieder über den Inhalt der Kulturförderung statt über ihre Finanzierung zu reden, nur das Problem.

Und doch geht es genau um die Frage, welche Kultur die Berliner Bevölkerung wünscht, braucht, bezahlen kann, und ob die bisherige Auswahl des Senates richtig ist. Es geht um eine begründete Bestätigung oder Neubestimmung der Förderprioritäten statt um ihre Ausweitung, die nur denkbar ist, falls jemand real dasselbe billiger erreicht oder neue Geldquellen auftut. Begriffe wie "Leitkultur, Hoch-, Elite-, Massen-, Alternativkultur", "Innovation, Tradition" können eine begrenzte Denkstütze bieten. Mit Diepgens Verheißung, "abgetanzte und abgelatschte" Ensembles zu schließen, erlitt der Versuch, Inhalt- und Gelddiskussion zu verbinden, freilich zunächst ein geistiges Desaster - gerade, weil konkrete Kriterien und Verbesserungsvorschläge fehlten. Auch sonst sind billige Schlussfolgerungen im Berliner Kulturgeldstreit beliebte Waffen. Eine trifft besonders die drei Berliner Opernhäuser.

Wer soll das Geld bekommen?

Mit 225 Millionen Mark Subventionen (ohne die Beiträge des Bundes) verschlingen sie fast ein Viertel des Kulturetats, nur etwa 20 Prozent erwirtschaften sie selbst. Der Etat eines dieser Moloche könnte die Finanzprobleme aller anderen Einrichtungen lösen. Das macht sie zum verlockenden Angriffsziel und legt die Schließung eines der Häuser oder ihren Zusammenschluss nah. Tatsächlich fragt sich, warum ausgerechnet dem Operngenre, das zudem von einer blühenden Fortentwicklung weit entfernt ist, derartige staatliche Aufmerksamkeit erwiesen wird und weiter gebühren soll. Die drei Häuser gibt es heute vor allem deswegen, weil es drei gab, als die Stadt geteilt war, und sich danach keiner entscheiden mochte, auf eines zu verzichten. Ist nicht die Staatsoper die älteste, bekannteste und sitzt im schönsten Haus? Bindet nicht die Deutsche Oper Bismarckstraße jenen Rest Westberliner Oberschichtidentität, der nach der Schließung von Freier Volksbühne und Schillertheater geblieben ist? Brachte nicht die Komischen Oper mit Felsenstein eine der eindrucksvollsten Musiktheaterschulen hervor und ist ohnehin am preiswertesten?

Einsparungsmöglichkeiten bei Opernhäusern werden überschätzt

Es gibt die drei Häuser auch, weil sie alle gut besucht sind, offenbar Opernbedarf besteht und auch eine starke Lobby derer, die traditionell mit ihr den Gipfel repäsentativer Kultur assoziieren, die beträchtlichen Kartenpreise aufbringen können und nicht zuletzt auch das Berliner Haushaltsgeld verteilen. Es gibt sie, weil das Geld für sie zuletzt stets aufgetrieben wurde, und sei es auch aus anderen Kulturtöpfen. Dabei wird zu wenig diskutiert, ob es einen gesellschaftlichen Wert darstellt und welchen, für die vielen Berliner Anhänger der Klassik drei Opernhäuser und acht (nach 1948 ebenfalls teilweise gedoppelte) Orchester zu finanzieren. Ob und welchen Verlust eine Einschränkung bedeuten würde und welchen kulturellen Gewinn welche Förderpolitik aus den freiwerdenden Mitteln ziehen könnte.

Die Chancen jedoch, kurzfristig Geld bei Opernhäusern oder Orchestern zu sparen, werden oft weit überschätzt. Das erdrückende Problem aller sind die Personalkosten, vor allem die permanenten Tarifsteigerungen bei ohnehin hohen Einkommen. Der Personalaufwand ist nicht beliebig reduzierbar, weil bestimmte Werke bestimmte Ensemblegrößen voraussetzen. Der wunderbare RIAS-Kammerchor und das leistungsstarke Rundfunksinfonieorchester werden so gerade bis zur Arbeitsunfähigkeit reduziert. Auch wird Oper unvermeidlich stets teurer sein als jede andere traditionelle Kunstform, da sie von der Musik über den Tanz, das Schauspiel bis zur Bildenden Kunst alle Sparten verbindet. Eigene Sänger statt teurer Weltstars zu beschäftigen, spart zwar Gagen, kostet aber Gehalt und Sozialbeiträge auch an auftrittsfreien Tagen. Spielplandopplungen könnten wegfallen, doch gerade diese populären Opern rechnen sich relativ am besten. Verwaltungsapparate und Werkstätten dürften auch nach mehrfachen Kürzungen fusioniert noch billiger sein. Aber Intendanten oder Künstlergruppen zu vereinigen heißt Vielfalt verringern. Wer ein Ensemble kleinschrumpft, indem er Pensionäre nicht ersetzt, riskiert Überalterung, gefährdet Qualität und rollenadäquate Besetzung. Wer eine Einrichtung ganz schließt, muss enorme Vertragsstrafen für zu entlassende Ensemblemitglieder und Jahre im voraus eingeladene Solisten verbuchen. Sie wären zur Zeit besonders hoch, weil Radunski erst in den letzten Monaten viele hochdotierte Kontrakte mit neuen Dirigenten (Deutsche Oper, Berliner Philharmoniker, Berliner Sinfonieorchester), Regisseuren (Komische Oper) oder Intendanten (Deutsche Oper) unterzeichnete. Für das seit 1994 geschlossene Schillertheater werden bis heute Restverträge bezahlt. Neben der unklaren Privatisierungs- und Sponsoringperspektive sowie der unsozialen Preiserhöhung gibt es derzeit nur zwei hilfreiche Sparansätze: die Abschaffung des öffentlichen Dienstrechts und die Gründung eines Personalpools aus bisherigen Mitgliedern, die an allen Häusern Berlins zur Ergänzung der Kernensembles eingesetzt werden können.

Sollte man eine Oper schließen?

Die Idee, ein Opernhaus zu opfern, kann richtig sein. Doch das ist unpopulär, und wer das will, muss auch sagen, welches Haus genau und warum, wie er den kulturellen Verlust einschätzt und kompensieren will sowie was dann mit dem Geld geschehen soll. Erfreulicher wäre, wenn die Ensembles einer deutlichen Senkung ihrer Gehälter zustimmten. Aber auch das ist nicht populär. Es verprellt zudem gute Solisten und ersetzt nicht die Neubestimmung der Kulturförderung. Am erfreulichsten natürlich wäre die Erfüllung aller Wünsche durch mehr Geld. Aber weil dies eine Illusion ist, kommt der Senat eben ohne unpopuläre Schritte nicht aus. Bei Radunski und Thoben fehlte dem Senat noch das Stehvermögen, dies zu bekennen. Vielleicht erwirbt er es mit Senator Stölzl?
Peter Burger

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