Ausgabe 03 - 2000berliner stadtzeitung
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Mit spitzer Feder und im Goethe-Sound gegen die Moderne

Robert Gernhardt - ein Phänomen

Bereits eine Stunde vor Veranstaltungsbeginn bildete sich vor der Buchhandlung in der Königin-Luise-Straße in Dahlem eine lange Schlange. Angekündigt und längst schon ausverkauft war eine Lesung von Robert Gernhardt, derzeit am Wissenschaftskolleg in Berlin weilend. Erfolgsverwöhnt ist der 1937 geborene Cartoonist, Maler und Schriftsteller schon länger, seit einigen Jahren hat er nun auch die höheren Weihen von Kritik und Feuilleton. Gustav Seibt hat in der Berliner Zeitung dazu beigetragen, was er konnte, und sogar der sonst so besonnene Jörg Drews (s. a. nebenstehende Besprechung) versteigt sich zu der Aussage: "Gernhardts Lyrik und ihre heitere Aufnahme als ernstzunehmende Lyrik ist eines der Symptome dafür, daß wir ein westliches, zivilisiertes Land geworden sind." Was, so fragt man sich, ist hier eigentlich los?

Zum Lyriker Gernhardt ist zunächst einmal zu sagen, daß er Gedichte schreibt, die auch Leute anzusprechen geeignet sind, die sonst schreiend davonlaufen, wenn von Lyrik die Rede ist. Ob zum Kalauer verkürzt oder wacker gereimt, dabei immer pointensicher, schreibt Gernhardt Gedichte, die beim Lesen keine Widerstände bieten, die nicht erst umständlich "enträtselt" werden müssen. Wenn er von Schemata und dem "Sound" Goethescher Dichtung ausgeht, dann bedient er zudem perfekt den bildungsbürgerlichen Geschmack. Gernhardts Anspruch ist es, den, nach Brechts Kategorien, pontifikalen Strang der Lyrik mit dem plebejischen zusammenzuführen. Letzteren wieder ins Gespräch zu bringen, ist ihm jedenfalls gelungen.

Nach Dahlem war Gernhardt jedoch in erster Linie gekommen, um sein neues Buch Der letzte Zeichner (Haffmans 1999) vorzustellen. Der titelgebende Text ist ein in eine Erzählung verpacktes Pamphlet gegen die ästhetische Moderne, gegen den grassierenden "Dilettantismus", aus der verzweifelten Perspektive eines realistischen Künstlers. Gernhardt scheut sich nicht, alle wohlbekannten Spießervorurteile gegen die "moderne Kunst" zu mobilisieren, wettert gegen Künstler, die "leere Leinwände" ausstellen, witzelt über Beuys. Das gutbürgerliche Publikum, das sich in der Buchhandlung um sein Lesepult drängte, dankte es ihm.

Prätention kann man Robert Gernhardt nicht vorwerfen. Als großer Dichter spielt er sich nicht auf, räumt vielmehr ein, mit einem Teil seiner Bücher schlicht Unterhaltungsware liefern zu wollen. Den anderen Teil schreibe er für sich. Warum Seibt und Konsorten sich aber so auf den Frankfurter stürzen, wird vor dem Hintergrund des letzten Zeichners klar: Es geht um einen kulturkonservativen Angriff auf moderne Standards, die sich, wenn irgendwo in der Literatur, in der Lyrik, einem vom Kommerz wenig verseuchten Bereich, noch einigermaßen behaupten. In einem Gedicht über Düttmanns Akademie-Gebäude am Hanseatenweg, das Gernhardt zum Schluß seiner Lesung zum besten gab, sagt er es selbst unmißverständlich: Krampf, Askese, überkommene Ideale sprechen für ihn aus diesem Bau - eine überwundene Epoche. Gernhardt indes sitzt in der Toskana und bedichtet Sommerabende im "Goethe-Sound". Die Freude an diesen teilweise hübsch gemachten Gebilden kann einem angesichts der Ressentiments des Dichters allerdings vergehen.

Das Publikum in Dahlem war zum Schluß ganz scharf auf Autogramme, denn Gernhardt signiert seine Bücher nicht bloß, sondern zeichnet auch lustige Viecher hinein.
Florian Neuner

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