Ausgabe 05 - 1999berliner stadtzeitung
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Neues von der Allgemeinen Sicherheit und Ordnung

Als die Welt noch übersichtlich war, war man sich einig, daß der Zweck in einer Demokratie nicht die Mittel heiligen kann. Also durfte die Polizei nur bei einem konkreten Verdacht oder zur Gefahrenabwehr in die Persönlichkeitsrechte der Bürger eingreifen; ein beliebiges "Zeigense mal Ihre Papiere!" war verboten. Ein Bürger hatte solange als unschuldig zu gelten, bis ihm ein konkretes Vergehen nachgewiesen wurde. Doch seitdem das Leben wieder unübersichtlich geworden ist, brechen autoritäre Neigungen und die Sehnsucht nach dem starken Staat wieder hervor. Und weil sich niemand wehrt, werden mühsam errungene Bürgerrechte immer weiter beschnitten.

Nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit hat das Abgeordnetenhaus von Berlin am 30. April das Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG) - vulgo: Polizeigesetz - geändert. Auf Antrag der Fraktionen von CDU und SPD wurden die "Schleierfahndung" und der "Lauschangriff" eingeführt. Außerdem kann die Polizei ab Inkrafttreten nicht nur Platzverweise erteilen, sondern auch Aufenthaltsverbote aussprechen. Die Benachrichtigungspflicht über die Speicherung personenbezogener Daten wird abgeschafft. CDU und SPD weisen in der Begründung ihres Antrages darauf hin, daß die "grenzüberschreitende Kriminalität" in Berlin eine immer größere Rolle spiele. Sie könne allerdings "nicht mehr streng fallbezogen" bekämpft werden, sondern erfordere die Anwendung präventiver Maßnahmen.

Sobald das Gesetz im Gesetz- und Verordnungsblatt des Landes Berlin verkündet wird, hat die Polizei das Recht, im gesamten Stadtgebiet verdachtsunabhängige Kontrollen durchzuführen. Sie darf "die mitgeführten Ausweispapiere auf Authentizität oder Fälschung" prüfen und den Inhalt von Taschen, Kofferräumen und Ladeflächen in Augenschein nehmen. Voraussetzung dafür ist, daß der Polizeipräsident feststellt, "daß Straftaten von erheblicher Bedeutung begangen werden sollen". Die Ermächtigung läuft nach vierzehn Tagen wieder aus. Im Unterschied zu anderen Bundesländern wie Bayern sind die Kontrollbefugnisse nicht auf Fernverkehrsstraßen beschränkt, sondern gelten für das gesamte Stadtgebiet - für die AVUS ebenso wie für die U-Bahn.

Eine saubere Eingriffsnorm

Der Vorsitzende des Innenausschusses, Rüdiger Jakesch, CDU, rechtfertigt am Rande der Sitzung des Abgeordnetenhauses die Neuregelungen im Polizeigesetz. Man habe jetzt "eine saubere Eingriffsnorm" für eine längst gängige Praxis der Polizei geschaffen. Bereits heute verschafften sich Polizisten Einblick etwa in einen Kofferraum, indem sie den Fahrer des Wagens legalerweise aufforderten, den Verbandskasten vorzuzeigen. Gewiefte Kriminelle seien allerdings dazu übergegangen, den Verbandskasten auf dem Rücksitz mitzuführen, um somit den Inhalt des Kofferraums vor den unerwünschten Blicken der Staatsmacht zu verbergen. Gemein. Aber jetzt hat das ein Ende. Befürchtungen, daß von nun an alle Bürger mit derartigen Kontrollen rechnen müßten, tritt er entgegen. Um die neuen Bestimmungen anwenden zu können, müßten Anhaltspunkte für bandenmäßigen Heroinschmuggel, Menschenhandel und dergleichen mehr vorliegen. Die Erfahrungen, die die bayerische Polizei gesammelt habe, zeigten, daß die Beamten ein besonderes Gespür für reisende Kriminelle entwickelten. Familien mit Urlaubsgepäck würden also nicht überprüft.

Wolfgang Wieland (Bündnis 90/Grüne) sieht das alles überhaupt nicht so positiv. Diese ASOG-Änderung sei der "rechtsstaatliche Sündenfall", der "Rubikon der Rechtsstaatlichkeit" sei überschritten. Der Grundsatz, wonach jeder Bürger als unschuldig zu gelten hätte, bis die Schuld erwiesen ist, sei umgekehrt. Das neue ASOG mache jeden zum Verdächtigen. Zudem könne man mit zwar lageabhängigen, jedoch verdachtsunabhängigen Kontrollen keinesfalls die Schleuserkriminalität bekämpfen, sondern die Anwendung gleiche der Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Der Polizeiwillkür sei Tür und Tor geöffnet, denn das Lagebild "grenzüberschreitende Kriminalität" sei in Berlin praktisch immer gegeben. Die Anwendung hänge also nicht von der Notwendigkeit, sondern allein von den Kapazitäten der Polizei ab.

Wieland wird in seiner Kritik assistiert von Martin Kutscha, Professor an der Fachhochschule für Verwaltung und Rechtspflege Berlin, der im Auftrag der Humanistischen Union ein Gutachten zu dem Antrag von CDU und SPD angefertigt hat. Kutscha bemängelt vor allem, daß die Möglichkeit zur Ausweiskontrolle keinesfalls ein so geringfügiger Eingriff in die Person der Betroffenen darstelle, wie von der Regierung behauptet. Die Neufassung versäume es genau festzulegen, wann die Personenkontrollen stattfinden dürften und delegieren diese Entscheidung an die Polizei.

Der "normale" Bürger bleibt unbehelligt

Die Bürger müßten mit einem hohen Maß an Unsicherheit über die Berechtigung der Maßnahme leben. Sie würden in der Folge stets ihre Ausweise mit sich führen, um keinen Verdacht zu erregen und um weitere, zum Beispiel erkennungsdienstliche Maßnahmen zu vermeiden. "Damit wird aber eine bundesgesetzliche Bestimmung faktisch außer Kraft gesetzt, die allgegenwärtige staatliche Kontrolle gerade verhindern will: Nach ¤ 1 Personalausweisgesetz ist niemand verpflichtet, den Ausweis ständig bei sich zu tragen", schreibt Kutscha.

Auch Kutscha meint, daß die Unschuldsvermutung umgekehrt werde. Aber er glaubt nicht, daß sich Berlin zu einem Polizeistaat entwickelt. Denn die "normalen" Bürger hätten nichts zu befürchten. "Die Maßnahme wird sich erwartungsgemäß" vor allem gegen auffällige Personen richten, also aufgrund ihrer Hautfarbe u.ä. als Ausländer erkennbare oder "unordentlich" gekleidete Menschen, womit die Gefahr einer Diskriminierung aufgrund vom Grundgesetz verpönter Merkmale gegeben ist. Mit Polizeistaatsmethoden nur gegen Ausländer? Das muß nicht so bleiben. Wieland berichtet, daß noch zwei ASOG-Verschärfungen auf der Wunschliste der CDU ständen. Bereits am 2. Mai habe Innensenator Werthebach gefordert, die polizeiliche Vorbeugehaft von derzeit maximal 48 Stunden auf bis zu zwei Wochen zu verlängern und die Videoüberwachung öffentlicher Straßen einzuführen. Größeren Widerstand hat Werthebach wohl nicht zu erwarten.

Benno Kirsch

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