Ausgabe 05 - 1999berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Der geschlossene Körper der Polizei

Alle Jahre wieder 1. Mai

Jedes große Unternehmen macht es schon lange: Imagepflege durch Öffentlichkeitsarbeit. Im Vorfeld des 1.Mai hatte nun auch die Polizei die Initiative ergriffen und die "Arbeitsgemeinschaft Öffentlichkeitsarbeit - 1.Mai" ins Leben gerufen. Den einzelnen Direktionen wurde bei der Umsetzung des Konzepts relativ freie Hand gelassen. Man wollte sozusagen maßgeschneidert auf die unterschiedlichen Gegebenheiten in den Bezirken reagieren. Die Medien wurden verstärkt gezielt informiert über das geplante Deeskalationskonzept. Auch der scheinschlag wurde in diesem Jahr für wichtig erachtet und mit entsprechenden Faxen bedacht. Ein leichter Überraschungseffekt: das Ritual von eingefahrenen Stellungnahmen, das traditionellerweise im Nachhinein auf die Ereignisse erfolgt, schien durchbrochen. Kurz vor dem 1. Mai lud in Mitte die Polizeidirektion 3 unter dem Motto "1. Mai - gewaltfrei" zur offenen Diskussionsveranstaltung auf den Rosa-Luxemburg-Platz ein. Hinter den Mikrofonen versammelte sich eine höchst gemischte Runde: der Stellvertretende Bürgermeister, Mitglieder des Innenausschusses des Abgeordnetenhauses von SPD, CDU und PDS, der Direktor und der Schulvertreter der Oberschule im Scheunenviertel, der Jugendamtsdirektor, ein Journalist der Berliner Zeitung, ein Polizeidirektor, eine Kriminaloberrätin und ein weiterer Polizist. Vor den Mikrofonen hielt sich der Zulauf dagegen in Grenzen. Viel Grün war erschienen, was einige Passanten wohl dazu veranlaßte, einen etwas weiteren Bogen um die Versammlung zu machen. Ein Transparent fehlte leider, das über den Anlaß der Diskussion informiert hätte. Jede Demo ist hier besser ausgestattet. Die wenigen Zuhörer allerdings waren äußerst interessiert. Die Stärke der Veranstaltung lag darin, daß man sich nicht darauf beschränkte, ein wie auch immer geartetes Polizeikonzept den Leuten schmackhaft zu machen, sondern versuchte, so etwas wie Ursachenforschung für die eskalierenden 1.Mai-Demonstrationen zu betreiben. Die angespannte Haushaltslage im Jugendbereich wurde thematisiert, von anreisenden "Gewalttouristen" aus anderen Städten berichtet, die rigiden polizeilichen Absperrmaßnahmen im Prenzlauer Berg im Mai 1998 kritisiert.

Nette Veranstaltung

Kurz, man war im Gespräch und näherte sich der Gretchenfrage: Wie hältst du es mit der Gewalt? Eine etwas prekäre Rolle hatte dabei der Schulvertreter inne, der nach gewaltbereiten Jugendlichen aus seinem Bekanntenkreis befragt wurde. Man wollte sozusagen direkt aus erster Hand wissen, "warum die denn Steine schmeißen?". Er wand sich erst ein bißchen, bevor er eine Einschätzung wagte: "Mit dem Stein in der Hand fühlen sich die Leute einmal im Jahr mächtig." Der neutrale Diskussionsleiter bemühte sich daraufhin redlich, auch unter dem Publikum einen Steinewerfer zu finden, versprach diesem sogar Straffreiheit, doch es fand sich keiner. Ernstlich darauf gehofft hatte sowieso niemand. Die Vertreter der Polizei hatten schon klar gestellt, daß sie gar nicht davon ausgingen, durch solche Veranstaltungen den "gewaltbereiten Kern" zu erreichen. Ihnen ging es vor allem darum, den "Bürger" von den sogenannten "Chaoten" zu unterscheiden, um für ihre Einsätze Akzeptanz zu finden. Nicht zuletzt mit dem Argument, daß unschuldige Autos beschädigt würden und die Einsätze viel Geld kosteten. Ob das eventuell gesparte Geld dann zum Beispiel in der Jugendarbeit wiederzufinden sei, wurde dann jedoch nicht mehr erörtert. Auch der Polizist als Mensch durfte zum Vorschein kommen und von seiner Angst bei den Einsätzen sprechen. Nach zwei Stunden trennte man sich irgendwie in dem wohligen Gefühl, Gesprächsbereitschaft demonstriert, heikle Punkte angeschnitten und für Verständnis gesorgt zu haben. Außerdem hoffte man in Mitte, diesmal ungeschoren zu bleiben, weil Kreuzberg der Veranstaltungsort der Demo war. Soweit die Vorgeschichte.

Öffentlichkeit von ganz oben

Am 1.Mai unterlief der Polizei dann in Kreuzberg ein kapitaler Fehler: Sie knüppelten genau jene Medienvertreter nieder, die sie vorher so umhegt hatte. Irgendwie war alles schief gelaufen. Und nicht nur die "linken Medien" hatte es erwischt, denen man vielleicht noch hätte unterstellen können, Polizeieinsätze sowieso nur einseitig darzustellen. Selbst der Dümmste mußte merken, daß alles zum Himmel stank, was im Vorfeld propagiert wurde. Innensenator Eckart Werthebach (CDU) blieb nichts anderes übrig, als die Flucht nach vorne anzutreten. Er räumte "Auswüchse" ein und nahm dann besonders die Journalisten unter seine Fittiche: "Ich verspreche Ihnen, wir gehen den Vorwürfen nach." Gleichzeitig war es mit dieser schönen Vorstellung vorbei, daß einzelne Polizisten sich zu ihrer "Befindlichkeit" äußern dürfen. Die Bürgernähe der Polizei, die man noch auf der Diskussion in Mitte herauskehren durfte, hatte ihre Schuldigkeit getan. Der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Hans-Georg Lorenz, sprach von einem "unerträglichen Maulkorberlaß" für die einzelnen Polizisten. Da sie nicht einmal mehr mit Abgeordneten reden dürften, seien vertrauliche Gespräche unmöglich.

Im Nachhinein erscheint die Öffentlichkeitsarbeit der Polizei wie eine billige Werbeveranstaltung. Wie die Definition von Öffentlichkeit der Polizei lautet, bleibt wie gehabt eine lageabhängige Entscheidung von ganz oben. Und die Öffentlichkeits-AG zum 1.Mai der Direktion 3 ist ganz logisch von elf auf zwei Leute verkleinert worden. Der Fortgang des 1.Mai 1999 findet hinter fest geschlossenen Türen an ganz anderen Orten statt.

Nachtrag: Die Aufklärung der Übergriffe gestaltet sich äußerst schwierig. Da die Kameras zerschlagen waren, muß teilweise auf Phantombildzeichnungen zurückgegriffen werden. Auf ein paar Bauernopfer zur Imagepflege darf man hoffen.

sas

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