Ausgabe 05 - 1999berliner stadtzeitung
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Multimierda

Weiterbildung im Medienbereich mit persönlicher Anteilnahme

Im Mai letzten Jahres habe ich eine Weiterbildung zum Multimedia-Producer begonnen, wie sie gerade zuhauf angeboten werden, obwohl niemand so richtig zu wissen scheint, was das eigentlich bedeuten soll. Im Vorfeld habe ich bei verschiedenen Beratungsstellen einige Erkundigungen über die bisherigen anschließenden Vermittlungsquoten eingeholt. Mir wurde zu meiner Überraschung gesagt, die Vermittlungsquote würde unter 10% liegen, was aber wohl nicht so sehr darauf zurückzuführen ist, daß in diesem Bereich kein Geld zu verdienen ist, sondern eher auf eine hemmungslose Überschätzung der Branche sowie den Umstand, daß nur sehr wenige feste Arbeitsverhältnisse zu haben sind.

Meine Mitschüler und -schülerinnen in der Schule, natürlich ein Institut, wo die Lehrer Dozenten heißen, um wichtiger zu wirken, kamen entweder direkt von der Kunsthochschule oder hatten mit dem Arbeitsmarkt ähnlich schwer vereinbare Lebensläufe oder Einstellungen wie ich. Die Weiterbildung verlief für die meisten nicht ihren Erwartungen entsprechend, mit welcher Haltung sie auch immer daran teilgenommen haben.

Gegen Ende, also während des vorgeschriebenen Praktikums, habe ich einige Gespräche geführt, von denen ich das folgende aufgeschrieben und von meinen Fragen bereinigt habe, weil es einerseits einigermaßen typisch ist, besonders, was die Umgehensweise mit der Schule angeht und es andererseits weitere Erfahrungen mit völlig anders gearteten Maßnahmen beinhaltet.

S¿ren Jansen

Warum ich diese Fortbildung gemacht habe bei dem Institut, war im Grunde, damit das Arbeitsamt wieder Ruhe gibt, und weil ich mich aber auch weiterbilden wollte, denn wenn ich selber eine Weiterbildung bezahle, ist das ja doch recht teuer. Das hing auch damit zusammen, daß ich vorher eine ABM beim Naturschutz- und Grünflächenamt hatte, und ich wollte das natürlich in eine andere Richtung bringen, daß ich anders vermittelt werde und nicht als Hilfsgärtnerin. Bevor ich diese ABM angenommen habe, beim Naturschutz- und Grünflächenamt, war ich beim Arbeitsvermittler, wo man sich immer melden muß, und hatte mir überlegt, dieses ständige Lügen, das geht mir auf die Nerven, ich bin jetzt ehrlich und habe zu ihm gesagt: "Passen Sie auf, Herr Sowienoch, ich bin jetzt am Überlegen, ob ich mich demnächst doch freiberuflich mache, denn ich schreibe Spielfilm-Drehbücher."

Spielfilm-Drehbücher

Sie schreiben Spielfilm-Drehbücher? Da sagte dieser Mensch: "Was machen Sie? Was machen Sie? Sie schreiben Spielfilm-Drehbücher?" - "Ja, Herr Sowienoch, soll ich denn biertrinkenderweise vorm Fernseher rumhängen?" - "Ja, aber Sie beziehen Arbeitslosenhilfe und schreiben Spielfilm-Drehbücher und verkaufen sie dann, oder was?" - "Aber, Herr Sowienoch, ich hab' doch noch gar nichts verkauft, ich denke das doch nur an." Dann kramte er in irgendeinem Karteikasten, holte ein Kärtchen heraus, legte diese auf den Tisch und sagte: "So, jetzt hab´ ich da was für Sie. Hier habe ich eine ABM beim Naturschutz- und Grünflächenamt, als Hilfsgärtnerin, und das machen Sie jetzt mal ein Jahr, und dann können Sie ja immer noch Drehbücher schreiben." Ja, und das habe ich dann ein Jahr gemacht, ich hab´ leere Bierdosen weggesammelt, naja, den ganzen Dreck, und mich mit Leuten rumgeärgert und hab´ mich oft krankschreiben lassen.

Vorher habe ich ganz viele verschiedene andere Sachen gemacht. Ich bin offiziell arbeitslos seit 1990. Da war ich bei ´ner Zeitung, habe im Grunde genommen nur drei Monate als Journalistin gearbeitet und wollte im Prinzip meine Ruhe haben. Ich habe immer schon geschrieben - aber wenn man schreibt, kriegt man ja nicht gleich Geld - und habe mich mit irgendwelchen ABMs oder Fördergeschichten über Wasser gehalten, vom Arbeitsamt, damit das Arbeitsamt Ruhe gibt sozusagen. Meine Erwartung an die Schule war, daß ich Homepages erstellen kann, daß ich CD-Roms machen kann, daß ich solche Sachen besser lerne, Konzepte zu entwickeln, und das war da leider, leider sehr, sehr wenig. An einem ganz bestimmten Punkt habe ich mich dafür entschieden - ich konnte die Fortbildung ja nicht abbrechen, sonst hätte ich sie bezahlen müssen - , daß ich nur noch Spielfilm-Drehbücher schreibe.

Tolle Geschäftsidee

So gut habe ich es ja vorher nie gehabt, ich hatte ein Großraum-Büro, einen Rechner, der ab und zu mal abgestürzt ist, o.k. Ja, ich konnte von 9 bis 16 Uhr schreiben. Mein Ziel habe ich erreicht, ich habe das Drehbuch bis zu einer Fassung gebracht, was ich eigentlich wollte.

Die Schule ist für mich ein voller Erfolg gewesen, und ich habe nette Menschen kennengelernt. Ich glaube, daß von Seiten der Schule niemand in einen neuen Beruf reingebracht werden konnte, sollte, darüber waren die sich selber im klaren. Deshalb wurde auch von den Leuten verlangt, daß sie Computergrundkenntnisse mitbringen und sehr viel Eigenleistung bringen müssen, also, das will ich denen nicht zuschieben. Aber die Arbeitsamtslehrgänge, das ist ein Abzocken, na klar, die kriegen ja ´ne Menge Geld und das Arbeitsamt ist froh, daß sie wieder ihre Quote gesenkt haben und daß da wieder ein Haufen Leute reingegangen sind, natürlich spielt das dabei auch ´ne Rolle.

Das ist ´ne tolle Geschäftsidee, wenn man da mal so rangeht. Solche Schulen haben auch Privatbezahler, aber die werden natürlich immer die wenigsten sein, die meisten werden immer die vom Arbeitsamt sein, denn die bringen das Geld rein. Pro Platz kriegen die ja auch noch zusätzliche Gelder vom Arbeitsamt, also, daß sie Computer anschaffen können und für Materialkosten und das und jenes und bla und blub, und damit kann man sich, wenn man gut organisiert ist und einen guten Draht zum Arbeitsamt hat, denke ich, sanieren.

Schlauer Grashacken

Ich denke, daß einige unserer Mitschüler die Fortbildung sehr ernst genommen haben, haben vielleicht auch ´nen neuen Beruf oder Berufszweig für sich gefunden oder konnten mit ihrem alten Beruf das Neue verbinden, haben möglicherweise auch eine bessere Chance auf dem Arbeitsmarkt. Aber das ist, glaube ich ein geringer Teil, aber ich denke, daß es die wirklich, tatsächlich gibt. Und die anderen haben sich privat weitergebildet, können das für was weiß ich Vereine nutzen oder für den Privatgebrauch, was sie dort gelernt haben, und andere sind wohl genauso schlau wie vorher.

Ich habe jetzt eine Fortbildung besucht für Multimedia-Produktion, Schwerpunkt Konzeption, und bin jetzt im Prinzip nicht vermittelbar, und das ist ein Vorteil. Der Medienmarkt boomt auf der einen Seite. Auf dieser einen Seite sicherlich auch hochqualifizierte Kräfte, die gut ausgebildet sind, die Grafik studiert haben und Zusatzausbildung gemacht haben und vielleicht noch BWL dazu studiert haben.

Auf der anderen Seite solche Leute wie ich, die mal Schauspiel studiert haben, Gras gehackt haben, am Theater rumgehampelt haben, mal journalistisch tätig waren, Drehbücher schreiben, nicht biertrinkenderweise vorm Fernseher sitzen, also staubgewischt haben im Grunde überall nur ... niemand wird mich einstellen, auch wenn das Arbeitsamt jetzt vielleicht stolz auf mich ist oder sowas. Aber keiner stellt mich ein, das find´ ich gut.

Entnommen aus der zweiten Ausgabe des "müßiggangster", c/o Im Stall, Kastanienallee 84, 10435 Berlin (Postadresse)

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