Ausgabe 05 - 1999berliner stadtzeitung
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Bildung statt Literatur

Pigafetta, die 356.te Rezension

Träumen

Der als Roman titulierte "Pigafetta" von Felicitas Hoppe erscheint zu einer Zeit, da "die letzte große aeronautische Herausforderung der Menschheit" gemeistert ist - die Umrundung der Welt mit Hilfe eines Ballons. Von Jules Verne vor über 100 Jahren erträumt, noch rechtzeitig in diesem Jahrhundert erledigt und nach wenigen Wochen bereits vergessen.

Zauber

Diese Ballonfahrt hat niemanden berührt, wie etwa der Ozeanflug des Charles Lindbergh dies noch tat oder der große Schritt für die Menschheit, der vor dreißig Jahren zu Tränen rührte und heute nur noch zum Kalauer reizt. Technisch ist die Welt nun also tatsächlich entzaubert. Vorausgesetzt, man begreift unter Technik nicht mehr, als sie HEUTE ist: Magie in industrieller Gestalt.

Erzählung

Auf diesem Feld der Entdeckungen und Leistungen, die zu Stillstand und Verharren gekommen sind, ergäbe sich: der Bericht einer zu Schiff unternommenen Weltreise, der Raum für Erzählung, den, darüber gibt es keinen Zweifel, Felicitas Hoppe zu nutzen gewußt hätte, denn: wenn das Große getan und lächerlich geworden ist, ergibt sich das Kleine, ergeben sich Moment und Miniatur, denen Felicitas Hoppe, Meisterin der kleinen Form, zweifelsohne zu genügen gewußt hätte.

Einbruch

Indes, sie zog es vor, der kaum gewonnenen Freiheit sofort das germanistische Korsett umzulegen. Gemauerte Stütze. Bildung statt Literatur, - die nämlich der Erfahrung näher steht denn einem Wissen, das in Untätigkeit zerfließt.

Am Ende

- beraubt Felicitas Hoppe sich der Freiheit, die Weltumseglung einer FRAU zu zeigen, indem sie mit Pigafetta einen Mann, Schiffsschreiber unter Magellan, als sei eine Beglaubigung möglich, in die Handlung des Romans aufnimmt, ja: zur zentralen Leitstelle ausbaut - beraubt Felicitas Hoppe sich der Freiheit einer exakten, einer intellektuell wie emotional exakten literarischen Reflexion, der Erzählung, die auf der Welle der Beobachtungen aufsteigt ... und wer, wenn nicht Felicitas - ach: Seligkeit - nicht alle Blütenträume reiften ...

Pigafetta,

mit anderen Worten, ist ein völlig unnötiger Kompromiß und entspricht genau dem, was von Felicitas Hoppe, die mit "Picknick der Friseure" eine zu Recht viel gerühmte Arbeit vorgelegt hatte, - entspricht dem, was von dieser so selbstbewußten wie begabten Frau nicht zu erwarten war.
i g wilms

Felicitas Hoppe: Pigafetta. 155 Seiten, 29.80 DM (Rowohlt)

© scheinschlag 2000
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  Ausgabe 05 - 1999