Ausgabe 05 - 1999berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Schönheit der Schwebung

Zwei Klanginstallationen von Alvin Lucier in der Parochialkirche

minimal
Alvin Lucier gehört mit Steve Reich, Alvin Curran, Steve Riley u.a. zu jener Generation von Musikern, die in den sechziger Jahren eine musikalische Tradition begründeten, die, vielleicht stärker denn je, bis in unsere Tage reicht. Man neigt zum Ornament und macht sich eine Haltung, eine Sensibilität zu eigen, die sich mit Leichtigkeit gegen den Mythos der Kreativität behauptet. So gesehen ist das Gepräge der minimalistischen Tradition barock

abstrakt - beiläufig
Barocke Musik war zunächst: poetische Mechanik, und, soweit dies etwa die Orgel betrifft: die Musik von Maschinisten. Für den Tanz war die Gavotte der House des 18. Jahrhunderts. Man könnte diese Reihe fortsetzen. Nur soviel: man achte einmal auf die präzise Gliederung, den Zeitfaktor der Klaviatur in Glenn Goulds frühen Einspielungen Bachscher Kompositionen und vergleiche diese mit der epochalen Serie "Concept 1" von Goulds Landsmann richie hawtin (aka plastikman); hier, wie auch in den "Concept 1 Variations" von Thomas Brinkman (beide auf M_NUS) ist eine Sensibiltät am Werke, ein Bewußtsein der Sinnfälligkeit von Zeit und Raum, die ohne die Vorarbeiten jener Tradition, für die u.a. Alvin Lucier steht, undenkbar wären.

singuhr
Twins - Zwillinge

Die Installation "Twins", mit der die "singuhr - hörgalerie in parochial", den so schlichten wie bezaubernden Anfang ihrer vier diesjährigen Ausstellungen setzt - die Installation "Twins" besteht - am Namen bereits ersichtlich - in einer Verdoppelung; aus dem langen Draht von "Music On a Long Thin Wire" werden zwei.

"Als ich mir die Parochialkirche daraufhin ansah, dort eine Klanginstallation einzurichten, bemerkte ich zwei offene Fenster über dem Eingang. Ich war sofort fasziniert von der Möglichkeit, von dort zwei Drähte über das Publikum hinweg bis zu einem Punkt hoch über dem Altar zu spannen. Beide Drähte müßten jedoch von dem gleichen Oszillator angeregt werden. Ich wollte nicht, daß zwei "Music On a Long Thin Wire" zu gleicher Zeit erklingen. Ich dachte es wäre interessanter, den Unterschied zwischen zwei ähnlichen Drähten zu hören, die von der gleichen Quelle angeregt werden.." (Alvin Lucier) eine Art zeitgenössische Kirchenmusik

Empty Vessels - leere Gefäße
"In Empty Vessels werden acht Glasflaschen, Vasen und Einmachgläser an bestimmten Stellen des Raumes auf Podesten plaziert. Mikrophone werden in die Münder und Nacken der Gefäße eingesetzt und mit acht Lautsprechern verbunden, die ähnlich im Raum verteilt sind. Wenn Besucher durch die Installation gehen, werden die Bewegungen ihrer Körper die sensible Balance des Systems verändern und unerwartete Resonanzen erzeugen, dabei können Klingelgeräusche und leise Feedback- Klänge auftreten." (Alvin Lucier)

Diese Installation ist nun im Glockenturm der Parochialkirche zu - wie kann man hier sagen? - zu sehen? zu hören? man kann sie sehen (ihre strenge Symmetrie ist von sprödem Reiz) und man kann sie hören, oder: es ist der Raum den man hört, die eigene Bewegung in jenem Raum, der zwischen den Gefäßen und den Lautsprechern sich auftut. Auch Schritte oder die Stimmen der Anwesenden werden gelegentlich in die, nun: akustische Balance integriert...

"Empty Vessels" im Glockenraum, und "Twins" im Kirchenschiff der Parochialkirche; die Installationen sind von Donnerstag bis Sonntag, jew. 14 - 20 Uhr zugänglich, am 13. Juni gibt es eine abschliessende lange Nacht (bis 24 Uhr). Die Galerie "Gelbe Musik", Schaperstr. 11, Wilmersdorf, zeigt "Still Lives", Zeichnungen von Alvin Lucier (bis 12.06., Di-Fr.13-18, Sa. 11-14 Uhr). Den institutionellen Höhepunkt der Berliner Alvin-Lucier Wochen bildet die SFB-Klanggalerie, Masurenallee 8-14 im fernen Charlottenburg. Titel der Ausstellung hier: Sound On Paper, Dokumentation der Klanginstallationen von A.L., Werktags bis zum 28.05., 10-17 Uhr.

Die Waffen nieder. -
i g wilms

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