Ausgabe 05 - 1999berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Kollegen in der Nacht

Die "Werkbühne Berlin" ist absurd

Im kleinen Saal empfängt den Zuschauer der Anblick eines grün tapezierten Zimmers. Zwei sehr unbequem aussehende Eisenbetten, ein Spiegel, in einer Ecke ein Paravant. Wer müde ist, könnte versucht sein, trotzdem auf einem der Ungetüme zu lagern. Dann kommen sie aber schon: der Herr Kollege und der werte Herr Kollege. Ein Ingenieur und ein Ökonom auf Dienstreise, die keine Einzelzimmer mehr bekommen haben. In die Provinz verschlagen und mit dem Herrn Kollegen sich ein Zimmer teilen müssen. Schlimm! für die beiden! Ein wenig Bittenachihnen und Wennesnichtsausmacht. Eine Streiterei um das nicht kaputte Bett.

Hinter dem einen steht ein Photo der Venus von Milo. Dem einen gefällt sie außerordentlich, für den anderen ist sie ein Kunstwerk und eine Kopie einer Kopie. Zwei Welten prallen aufeinander. Das klingt nach vorprogrammierter Absurdität. Und der Autor des Stückes ist Slawomir Mrozek, ein absurder Autor aus Polen. Und wie das bei absurden Stücke üblich ist, kippt das Ganze schöne normale Leben um und um.

Nachdem die Bettfrage geregelt ist, was schön gespielt und lustig ist, taucht aus dem Nichts eine geheimnisvolle Dame auf, hübsch zurechtgemacht und benimmt sich so, als besuche sie einen alten Bekannten. Sie interessiert nicht, daß sie es mit zwei Herren zu tun hat, sie nimmt sie als einen. Und da beginnt das Drama: Die sonst so auf Contenance bedachten Herren mit Familie entpuppen sich. Der Lüsterne erweist sich als Philosoph, und der Langweiler als Lüstling. Die Oberflächen brechen auf. Das Gerangel um die schöne Unbekannte ist zu schön und auch traurig, weil peinlich. Und irgendwann die Philosophie: Man kommt darauf, das alles zu schön ist, um wahr zu sein. Also wird geträumt. Im Traum ist alles möglich, es gibt keine Tabus. Nur scheinen die Herren Kollegen denselben Traum zu haben. Man will sich gegenseitig vernichten: "Hören Sie auf, mir zu träumen! Ich wache auf, und Sie sind erledigt." Wildgewordene streiten sich um ihr Recht zu leben so richtig, ohne Zwänge. Und werden vor die Frage gestellt, ob sie nicht nur träumen zu leben. Leben sie überhaupt?

Dann ist die Dame weg, so plötzlich, wie sich gekommen war. Sie haben nicht geträumt. Es war "Eine wundersame Nacht".

Ingrid Beerbaum

Werkbühne Berlin in der Fabrik noch bis zum 23. Mai, Schwedter Straße 3, 21 Uhr, fon 611 12 39

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  Ausgabe 05 - 1999