Ausgabe 05 - 1999berliner stadtzeitung
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Zehn Jahre sind genug

Das Orphtheater zieht in den SchokoLaden um

Das Orph-Theater verläßt seine angestammten Räume in der Sredzkistraße und zieht in den SchokoLaden in Mitte, in die ehemaligen Räume des Dramatischen Theaters. Es wird auch behauptet, man hätte das Dramatische Theater aus den Räumen gedrängt. Über die Gründe für den Umzug und Zukunftspläne des Orphtheaters sprach Ingrid Beerbaum mit Matthias Horn (MH) und Uwe Schmieder (US) vom Orphtheater.

Also, warum zieht Ihr genau um?
MH: Das Haus in der Sredzkistraße hat einen neuen Eigentümer, und die Verträge laufen aus. Die Leute vom Dramatischen Theater haben uns direkt angesprochen, ob wir die Räume vom SchokoLaden übernehmen und bespielen. Für sie gab es dieses Jahr keine finanzielle Unterstützung und sie haben andere Projekte außerhalb Berlins. Dann haben wir uns mit den Leuten vom SchokoLaden getroffen.

US: Das ist ganz unkompliziert abgelaufen, wir haben ziemlich kurzfristig entschieden. Im Dezember haben wir das erfahren und im Januar die Räume getestet. Seit April sind wir hier. Wir wissen noch nicht ganz genau, was wir hier machen. Auf alle Fälle wollen wir wenigstens einmal im Monat präsent sein. Das wird unser Zentrum als Probenraum, keine permanente Spielstätte. Dieses und nächstes Jahr werden wir insgesamt vier Premieren machen. Die finden aber im "Theater am Halleschen Ufer" statt.

Warum nicht im SchokoLaden?
MH: Die Bühnen, für die wir unsere Stücke gemacht haben, wurden immer größer. Das "Theater am Halleschen Ufer" hat einfach den besten kompletten großen Raum, den es hier gibt. Letztes Jahr gab es einen Kontakt mit dem Projekt "Rudelmang". Von da an war man interessiert, das Orphtheater in den Spielplan reinzunehmen. Deswegen die Premieren dort.

US: Es ist ein Schritt hin zum "traditionellen" Theater oder zumindest zu einem tradtionelleren Theaterraum. Wir versuchen, ideale Bedingungen zu schaffen in unserem begrenzten finanziellen Rahmen. Im Tacheles und so ist das immer Milieu, man ist immer abhängig von diesen Räumen. In der Hinsicht sind wir auch gebrannte Kinder. Seit zehn Jahren in Kellern und Abrißräumen; und unsere Lungen... Zehn Jahre zwischen Müll, Stein und Schrott sind genug. Also, im nächsten Jahr werden es zehn, um genau zu sein. Das Wichtigste ist das Produzieren, die neuen Stücke.

Und was wollt Ihr in den neuen Räumen machen, das ist doch auch Milieu?
US: Wir spielen kein Stück ab. Wir haben vor, unser Repertoire aus fast zehn Jahren in der kleinen Variante in der Bühne im SchokoLaden zu zeigen. Das Ziel ist, jeden Monat einmal präsent zu sein. Wir haben nur zweimal im Jahr Premieren und stehen unter dem Druck, daß alle Stücke immer gut sein müssen, damit sie verkauft werden, damit wir irgendwo anders und überhaupt spielen können. Und wir wollen mehr Leute kriegen.

Das klingt sehr aufwendig. Wie finanziert Ihr Euch denn?
MH: Wir sind Arbeitslosenhilfe-Empfänger. Pro Jahr machen wir zwei Projekte. Für diesen Zeitraum setzten wir den Empfänger-Status aus und sind freischaffende Künstler. Eigentlich müßte das "große A" überall mit draufstehen.

US: Seit zehn Jahren leben wir an der Minimalgrenze. Eine Spielstättenförderung kommt für uns nicht in Frage, da wir keine solche haben. Am meisten belastet sind die kontinuierlich arbeitenden Künstler, d.h. die darstellenden und die Regie. Durch diese Kontinuität können wir uns weder einen Film noch ein Engagement an einem anderen Theater leisten.
Wir haben zwar für dieses und nächstes Jahr insgesamt 300000 DM bekommen, aber das ist nicht viel, wenn man bedenkt, daß eine Inszenierung 75 000 DM kostet. Natürlich ist das für Gruppen, die kein Geld haben, eine ganze Menge. Aber wir geben auch rund 60 000 DM nur für Sachmittel aus, also Miete, Telefon, die laufenden Kosten eben.

Was ist als nächstes geplant, wo geht es hin?
MH: Vom 11. bis 13. und 25.bis 27.Juni wollen wir eine Neufassung von "Rudelmang" im SchokoLaden zeigen. Die heißt dann auch anders, nämlich "Rudimentär". Das sind drei Stücke: August Stramm: "Rudimentär", Peter Weiss: "Nacht mit Gästen" und Werner Schwab: "Mein Hundemund". Die dahinterstehende Idee ist ein Abriß der deutschen Familiendramatik. Das erste Stück ist von 1906, das letzte von 1989.

US: Unser Theater ist auch eine Idee. Wir bewegen uns momentan im Niemandsland. Vom Traditionellen her sind wir nicht einzuordnen. Für die Off-Szene haben wir vielleicht zuviel Geld oder wir arbeiten schon zu lange. Wir bewegen uns dazwischen und wissen auch nicht, wer unser Publikum ist und wo unser Weg hingehen wird. Aber wohl mehr zum Schauspielertheater.

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  Ausgabe 05 - 1999