Hip, hype, hyper undsoweiter
Die Softmoderne 99 im Podewil
Erste Bemerkung:
DOPPELKLICK
In einem Land, in dem elektronische Netzwerke 
"Datenautobahnen" genannt werden müssen, um einer 
gewissen Aufmerksamkeit versichert zu sein, - in einem 
solchen Land hat sogenannte internet-Literatur ein 
schwieriges Dasein.
Schon, soll das Kind einen Namen haben, tut man sich schwer. 
Netz- oder Cyberliteratur, Hypertexte, Elektronische oder 
Doppelklick-Literatur. Es ist, als fielen sie alle durch das Netz, 
dessen Existenz sie doch bezeugen sollen. 
Zweite Bemerkung:
AUTOBAHNLITERATUR
Vielleicht sollte man, der hiesigen Schwierigkeiten eingedenk, 
"Datenautobahnenliteratur" sagen, oder, noch genauer: 
"Datenautobahnen-der-Deutschen-Telekom-Literatur". Man 
stünde damit zwar im internationalen, im Internetvergleich 
etwas verloren, ja einsam da, auch wüßte man nicht einmal zu 
sagen, was denn die einfache Form, also eine 
"Autobahnliteratur" sei, aber die Formulierung könnte durch 
ihren sozusagen autobahnmäßigen Reiz bestechen. Denn da, 
wo´s geradeaus geht, ist man hierzulande vorn. Richtung zählt 
im Land der Richtungswahlen und Trends, und wenn man 
Richtung zählen kann, ist das fast so schön wie numerierte 
Fahrbahnstreifen. 
Dritte Bemerkung:
FASTMODERNE 
Man hat sich indes anders entschieden und die Beschäftigung 
mit einer Literatur, die nicht über Bücher, sondern an 
Bildschirmen erfahren wird, Softmoderne getauft. 
Softmoderne. Nach soft-cake, soft-core und soft-ice am Ende 
nun also auch eine Moderne mit industriell induziertem 
Schmelz. Industriezartem Schmelz, einem Gefühl eher, das der 
Biß hinterläßt, denn einem Geschmack. Soft-ice, gewisse Sorten 
Pudding und allgemein Fast Food zeichnen sich ja durch den 
ersten Eindruck aus, dem nichts mehr folgt, und der darum 
ein bleibender sein muß. Fast lasts.
Vierte Bemerkung:
TEXT VERFÜGEN
Zwar mag ein Name wie Softmoderne der Bewegung ihrer 
Teilnehmer auf dem Markt dienlich sein - er fungiert als 
Warenzeichen. Indes ist der Name zu durchsichtig gewählt, als 
daß man einen strategischen Gebrauch von ihm machen 
könnte. Er wird seiner Bestimmung nicht entsprechen und 
keine neue Literatur etablieren. Denn Softmoderne gibt vor, 
etwas begriffen zu haben, das (noch) nicht begriffen worden 
ist. Deutlich lag die Ratlosigkeit während der zwei Tage im 
Podewil zu Tage. Ratlosigkeit über den Umgang mit einer 
Technik, die uns erlaubt, in nie zuvor dagewesenem Maße 
ÜBER TEXT zu VERFÜGEN.
Fünfte Bemerkung:
SAALMIKRO
Man war uneingestandenermaßen ratlos. Das Publikum, das 
wie in einer Talk-Show um Tischchen gruppiert oder in langen 
Stuhlreihen geordnet saß und das hin und wieder über 
Saalmikro kleinere Fragen stellen konnte. Die geladenen Gäste, 
die einzeln oder gruppenweise, aber stets ein wenig dem 
Publikum entrückt, im Scheinwerferlicht auf dem Podium Platz 
genommen hatten. Und schließlich die Organisatoren der 
Softmoderne, die in allem, was sie sagen, ein wenig zu 
überzeugt klingen: "... nachdem alle Utopien und Dystopien 
weggefallen sind ..." Solche Sätze sind unglaublich. Die Fragen 
auch: "Wie wäre es, wenn ein Mensch sich in einem Hypertext 
bewegen könnte?"
Sechste Bemerkung:
HYPERTEXT
Hypertext war das entschieden gebrauchteste Wort der 
zweitägigen Veranstaltung. Hypertext. Darunter hat man sich 
wohl, genaueres wurde nie mitgeteilt, ein Stück Literatur 
vorzustellen; Texte, die nicht linear, also von vorne nach 
hinten, gelesen werden, sondern die erlauben, daß man sich 
nach allen Seiten in ihnen bewegt. Ein eingängiges Beispiel 
dürfte die Bibel sein, in der ein jeder Satz auf einen anderen 
bezogen werden kann. Immer wieder haben Avantgarden mit 
solcher Komplexität sich beschäftigt. Joyce (Finneganns Wake), 
Eisenstein (theoretische Schriften), Cortazar (Rayuela/Himmel 
und Hölle), und noch die Psychoanalyse, die große Schwester 
der modernen Künste, begreift Seele als eine Art Hypertext. 
Die Beispiele ließen sich fortführen, hier in der Softmoderne 
war nun das Internet angesagt - wohl weil man dort über 
LINKs navigiert, das heißt über vorgegebene Assoziationen. 
Man hängt sich auf sein Key-Board, klickt hier und da mal ein 
wenig herum, wartet auf die nächste Welle Daten und surft.
Nur, wo?
Siebte Bemerkung:
BERLIN
In Berlin natürlich! Berlin ist ja ganz groß zur Zeit. Berlin ist 
städtisch, nein, Berlin ist sogar ausgesprochen urban. Und wo 
sonst, wenn nicht in Berlin, macht man Erfahrungen, die´s 
woanders gar nicht gibt.
Also folgendes: Berlin ist modern. Internet ist modern. Berlin 
ist unüberschaubar. Internet ist unüberschaubar. So. Jetzt 
nehmen Sie Berlin, machen da Literatur draus, und dann 
nehmen sie das Internet, und holen da Struktur raus, und 
dann nehmen Sie beides und machen Hypertexte.                              
i g wilms