Ausgabe 23 - 1998berliner stadtzeitung
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Eher glücklich, weniger Spielberg

Notizen vom 8. Osteuropäischen Filmfestival in Cottbus

Kann man einen komischen Film über den Krieg machen? Kann man reales Unglück in ein Märchengewand stecken? Einige Zuschauer verlassen das Kino, in dem der serbische Film "Drei Palmen für zwei Punks und ein Mädchen" läuft. Nein, über das Elend von Menschen kann man keine Scherze machen, meinen sie. Andere lachen herzhaft.

"Lachen ist Medizin", sagt auch Goran Radakovic, Produzent und einer der Hauptdarsteller in dem Film. Regisseur Radivoje Andric hat aus den wahren Zuständen im Kriegsbelgrad eine Kriminalkomödie gemacht. Die absurd ist, weil sie eine Wirklichkeit beschreibt, in der jeder irgendwie an Geld kommen muß, um zu überleben. Und die unter karibischen Palmen endet, weil sich die Bevölkerung Serbiens nichts mehr wünscht als ein glückliches, ruhiges Leben.

Wunderbar, wie Radivoje und Goran glücklich über ihre Gespräche mit den anwesenden Kroaten berichten. Denn wir befinden uns im Festivalclub Bebel, in dem man sich nach all den Filmen trifft, trinkt und tanzt. Und nicht nur Serben und Kroaten treffen sich hier, sondern auch Russen und Esten, Litauer und Letten, Ost- und Westdeutsche, Polen und Ungarn, Kirgisen, Tschechen und Bulgaren. Daß Cottbus im Osten Deutschlands liegt, ist regionaler und emotionaler Tatbestand. Nicht zuletzt auch ablesbar am gemeinsamen und ausreichenden Konsum des guten polnischen Büffelgraswodkas an den Theken des Festivals, das dieses Jahr vom 11. bis 15. November stattgefunden hat.

Stadt ohne Kino

Nur ein einziges Problem hat Cottbus als Filmfestival-Stadt: Nämlich keine Kinos mehr. Das letzte Überlebende ist das kommunale Oben-Kino im zweiten Stock des Gladhouse, das als Festivalzentrum dient. Der Gladhousesaal selbst wurde als zweite Spielstätte für das Festival umgebaut. Die Nordlichtspiele sind jetzt Aula der Technischen Universität Cottbus und nur für das Festival wieder als Leinwand in Betrieb genommen. Die Kammerlichtspiele, ein Ufa-Betrieb, wurden dieses Frühjahr geschlossen.

Nein, das ist nicht so, weil die Cottbusser nicht mehr ins Kino gehen würden. Sondern weil ein UCI-Multiplex sich am Stadtrand breitgemacht hat. Die Stadt Cottbus verweigerte den Bau eines Multiplex´ mit der Begründung, die alten Kinos würden damit zerstört werden. Das UCI wurde darauf kurzerhand in der angrenzenden Gemeinde Groß Gaglow gebaut. Ein neues Kino im Stadtkern ist im Gepräch, promotet vom Festival, jedoch noch in finanzieller Unsicherheit.

Aschenputtel im Baltikum

Regionaler Fokus des diesjährigen Festivals war das Baltikum. In Tallinn, Riga und Vilnius wurden in den letzten Jahren neue Filmschulen gegründet. Die Abschlußfilme der ersten wenigen Absolventen dieser Schulen waren in Cottbus erstmalig zu sehen: Phantasie- und qualitätvoll zeigten sich alle.

Ein Wettbewerbsfilm war beispielsweise der außergewöhnliche Film der Lettin Laila Pakalnina "Der Schuh". Ein Frauenschuh wird im sowjetischen Grenz- und Sperrgebiet Ende der 50er Jahre von den Soldaten gefunden. Daraufhin wird ein tösender Alarm ausgelöst; die dazugehörige Frau muß sofort ausfindig gemacht werden. Drei verängstigte Soldatenschatten und ein Hundeschatten schleichen nun durch die Dörfer, um Aschenputtel zu finden. Wie in lähmender Mittagshitze zieht sich die Handlung, ohne daß wirklich etwas geschieht außer der Absurdität sowjetischer Herrschaft.

Wahrscheinlich aber werden wir weder "Drei Palmen für zwei Punks und ein Mädchen" noch den "Schuh" in Berliner Kinos zu sehen bekommen. Nur zwei bis drei von den 300 Filmen, die jährlich in deutsche Kinos kommen, stammen aus Osteuropa. Dieser Situation will das Festival abhelfen. Außer den persönlichen Gesprächen ist für 1999 eine Plattform für Koproduktion geplant. Deutschen Produzenten soll damit der Absatz in Osteuropa erleichtert, sowie umgekehrt, osteuropäischen Produktionen ein Zugang zum deutschen Markt geschaffen werden.

Almavolanda

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