Ausgabe 21 - 1998berliner stadtzeitung
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Verwandtschaftsverhältnisse

Über die inoffizielle Leistungsschau der Berliner Off-Kunstszene

Ist es spannend, Künstlern in den Zettelkasten zu schauen?

Der erste Eindruck der Ausstellung "Ceterum Censeo" war Desillusionierung. Vielleicht auch Desorientierung, verschuldet durch die schiere Masse an vermittelnden Texten: Projekte, Konzepte, manchmal gedruckt und gehängt mit an Lieblosigkeit grenzender Nonchalance. Es schwelte das Gefühl, wirklich interessante Aspekte übersehen zu haben.

Der Titel selbst legte eine Fährte. "Im übrigen bin ich der Meinung", sprach der alte Kato bei jeder Gelegenheit, "daß Karthago zerstört werden muß." Eine beharrlich wiederkehrende Anmerkung, um Bewußtsein zu schaffen für eine Idee.

Der "Verein zur Vollbeschäftigung und Erforschung des Unbemerkten" macht sich diese Methode zunutze. Ihre Ziele sind ungleich progressiver.

Zur Nachfolgeschau einer acht Jahre zurückliegenden gleichnamigen Veranstaltung lud man diesmal keine Einzeltäter, sondern Künstlergruppen, Galerien, Verlage; nicht direkt Unbemerkte, sondern maßgebliche Institutionen der Berliner Off-Szene, und wob daraus ein neues kommunikatives Netzwerk.

Aufmerksamkeit durch visuelle Attraktivität

Der Zeitpunkt war gut gewählt für eine Anmerkung. Sind doch gerade - ganz haupstadtbeflügelt - alle dabei, das spezifische Berliner Kunstgeschehen zu definieren.

Anleihen bei subkulturellen Erscheinungen wie Party und Clubkultur wirken belebend auf Vernissagen. Überdeutlich sichtbar ist die Tendenz zum bunt-fröhlichen Dada-Pop, gewürzt mit tiefschwarzem Sarkasmus und lässig hingeworfener Brutalität.

Das stilistische Vokabular der Werbung, Popmusik, Mode wird übernommen - folgerichtige ästhetische Denkart einer Generation, die in der Omnipräsenz einer mächtigen Industrie der Massenkultur aufwuchs. Sie haben erkannt, daß allen kritischen und autonomiebewußten Regungen zum Trotz auch Kunst immer eingebettet bleibt in ein System von ökonomischen Verwertungsinteressen. "Gerade jetzt", schreibt eine Künstlerin, "da die visuellen Raffinessen der Medien unglaublich viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen, sich Sehgewohnheiten sehr verändert haben, scheint mir visuelle Attraktivität in der bildenden Kunst notwendig, um den Dialog aufrechtzuerhalten."

Das bedeutet nichts weniger, als die Abkehr von der Avantgarde, des Codierens für einen kleinen Kreis der Eingeweihten. Kunst als High End der Unterhaltungsindustrie?

Amüsement als Subversion

Der Drang zur Gruppendynamik kratzt am jahrzehntelang kultivierten Selbstverständnis des autistischen Künstlergenies als Verstörer, Erzieher, Außenseiter in einer materialistisch orientierten Gesellschaft.

"Ist Deine Kunst kritisch oder subversiv?" wird Claudia Hart gefragt: "Ich bevorzuge es, sie für amüsant zu halten, was in Deutschland eine Form der Subversion sein könnte."

Während Schocktherapeuten mit Kacke, Blut und Tierkadavern die Hoch(preis)kultur vertreten, pubertieren ihre Kinder mit Happiness deluxe, lieblicher Idyllenforschung und fühlen sich dabei ganz undergroundig. Nicht mehr lange, Dank sei Herrn Biesenbach, dem Spielverderber.

Auf einem riesigen Bauschaumwürfel liegen Vogue, Kissen, besticktes T-Shirt (Beauty is all around), Fotos von Kleidern auf Kleiderbügeln, handgenähte Pantoffel tun, als wären sie Pumasportschuhe, in einem notdürftig gebundenen Heft katalogisiert die Autorin ihre Garderobe: "Gefälschtes Lacoste Poloshirt, für 2 DM am Flohmarkt gekauft, eigentlich wollte ich dem Trend widerstehen, aber die Farbe ist so schick ... ich mag keine Fälschungen, aber bei Lacoste wäre es peinlich, ein Original zu tragen."

"Der Grad der Entpolitisierung ist enorm, ... total", klagen die Protagonisten von "Light Infection" über die Mitaussteller. Sie selbst überzeugen mit einer monumentalen, neonbeleuchteten Metallbox, darauf vier Bildschirme, in perfekt glatter Werbeästhetik sieht man eine winterliche Tankstelle. Es schneit. Anstelle des Shell-Logos prangt "AIDS". Text: Aids is a Trademark. Infection is a service.

Auf A4-Papieren wird der glückliche Arbeitslose propagiert, wirtschaftlich vergleichbar mit EU-subventionierten Brachflächen in der Landwirtschaft. Und was hat Arbeitslosigkeit mit Kunst zu tun? Thomas Kapielsky: Wenn Sport der Bruder der Arbeit ist, dann ist Kunst die Cousine der Arbeitslosigkeit. Genauso wie der Künstler sagt, was ich tue, ist Kunst, weil ich es dazu erkläre, sagt der glückliche Arbeitslose, was ich tue, ist deshalb gemeinnützig, weil ich es dazu erkläre.

Ulli Lust

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