Ausgabe 21 - 1998berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

"ausgegrenzt/abgestempelt"

Veranstaltungsreihe in der Kulturbrauerei

In der Kulturbrauerei wird ab November eine neue Veranstaltungsreihe unter dem Titel: "ausgegrenzt/abgestempelt" stattfinden. Thema sind die vielzähligen Minderheiten in unserer Stadt, angefangen bei Migranten und Migrantinnen, Obdachlose, Erwerbslose, Lesben und Schwule. Mit zwei ihrer Organisatoren, Stefan Langenberg und Thomas Herr, sprach Ingrid Beerbaum.

Seit wann existiert denn die Idee, sich sozusagen wieder zu den Wurzeln der Kulturbrauerei zu begeben?

st: Konkret seit Januar/Februar. Die Idee und das Bestreben, in dem Bereich was zu machen, ist Jahre alt. Das merken wir auch an der Unterstützung, die wir in dem Haus erfahren, die eine der zentralen Veranstaltungsreihen für die Kulturbrauerei ist. Da könnte man ganz weit ausholen und anfangen beim Selbstverständnis dieses Hauses. In den ersten Jahren gab´s auch einige Veranstaltungsreihen, die verschiedene gesellschaftliche Themen aufgegriffen haben. Das ist in den letzten Jahren zurückgedrängt worden aufgrund der finanziellen Zwänge. Das Haus muß eine Menge Geld einspielen, um zu überleben, und das kommt vor allem durch Pop und Party, wie ich das nenne.

th: Es wird aber sehr wohl wahrgenommen, daß es auch noch andere Sachen gibt: eine Galerie, die Sonnenuhr...

Geht es nicht dabei auch um´s Prestige?

st: Dabei geht es zweifelsohne auch darum, das ist uns allen bewußt. Aber ich denke, wenn es um´s Prestige nur ginge, bräuchte man nicht so einen dezidierte Veranstaltungsreihe zu machen, die im Kiez verankert ist und eben mit Jugendlichen usw. arbeitet. Klar ist dem Haus daran gelegen in der Öffentlichkeit nicht nur als Pop-und Partyort dazustehen.

Was ist nun genau das Anliegen?

st: Für uns ist es wichtig, nach außen hin klarzumachen, wo die Gemeinsamkeiten der verschiedenen Gruppen liegen. So verschiedene Initiativen wie Obdachlose, Behinderte, Erwerbslose und Juden zusammmen in eine Veranstaltung einzubinden, ist ungeheuer schwierig. Du schafftst es nicht, eine Veranstaltung zum Thema Immigration zu machen und die Breite der gesamten Initiativen an einen Tisch zu bekommen. Da läuft soviel quer und gegeneinander aus den unterschiedlichsten Gründen, daß es für uns wichtig ist, nochmal deutlich klarzustellen, das es doch ein gemeinsames Vielfaches gibt und daß es dieses gemeinsame Vielfache auch wichtig macht, so eine Reihe durchzuziehen, um die verschiedenen Aspekte tatsächlich unter einen Hut zu bringen.

Ihr habt schon angeführt, daß es schwierig war, die einzelnen Gruppen an einen Tisch zu bekommen. Gab es da auch gewisse Vorurteile oder Ressentiments den jeweils anderen gegenüber?

th: Nee, mein Eindruck war eher, daß viel Interesse besteht, so ein Forum zu installieren, wo sich die verschiedenen Gruppen austauschen können.

st: Das widerspricht natürlich dem, was ich vorhin gesagt habe. Also, diese Kontakte sind viel früher gelaufen. In dieser ersten Konzeptionsphase hat sich abgezeichnet, daß es sehr schwierig sein würde, unterschiedliche Gruppen tatsächlich zusammenzubringen. Selbst die türkische Community kriegst du nicht an einen Tisch. Da gibt es sehr große Vorbehalte untereinander. Als Beispiel: Es gab den Versuch, einige türkische Initiativen und schwule Gruppen zusammenzubringen. Da wird deutlich, gegen was für Mauern du da anrennen mußt. Da ist es sehr schwierig klarzumachen, daß es gemeinsame Interessen gibt, daß man gemeinsam auch eher Chancen hätte gewisse Dinge durchzusetzen
th: Genau. Die Veranstaltung am 15. November ist der Auftakt für eine ganze Reihe, die sich mit der Situation von speziellen Minderheiten beschäftigt. Migrantinnen/Migranten wäre die erste Einzelveranstaltung, dann eine zum Thema Moslems in Deutschland, dann eine zur Obdachlosigkeit und eine zur Erwerbslosigkeit.
Wir werden versuchen sowohl diskursiv wie sinnlich-künstlerisch und emotional an die Sache heranzugehen. Es wird ein Podiumsgespräch geben, wo die entsprechenden Gruppen vertreten sein werden und das Thema aus der sozialwisenschaftlichen Perspektive angegangen wird. Dazu kommmen noch ein Kulturprogramm und Informationsstände.

Was wird es nun am 15. geben?

st: Wir wollen zum einen Ursachen und Formen sozialer und ethnischer Ausgrenzung ausmachen, gibt es Gemeinsamkeiten und Unterschiede oder nicht? Dann wollen wir beleuchten, was Kultureinrichtungen in diesem Bereich machen. Wie bewerten die das aus ihre Perspektive? Zum dritten wollen wir unsere eigentliche Zielgruppe, die Jugendlichen, zu Wort kommen lassen, die dann auch mit auf dem Podium sitzen werden, die dann erzählen was aus ihren Triebkräften entsteht und aber auch Stellung nehmen sollen zu den Aktivitäten, die für sie inszeniert werden, wie das bei ihnen ankommt oder nicht, was die Kultureinrichtungen verzapfen. Es werden da sein auf dem Podium der Häußermann, der bekannte Stadtsoziologe, die Anette Kahane von der Regionalstelle für Ausländerfragen. Dann wird da sitzen der Geschäftsführer der Werkstatt für Kulturen, eine wissenschaftliche Mitarbeiterin des Hauses der Kulturen der Welt und eine Reihe Schüler-und Jugendinitiativen, darunter eine Vertreterin der Jungen Presse Berlin.

Ist es nicht auch so, daß das deswegen nicht mit der Verständigung unter den einzelnen Minderheitengruppen klappt, daß sich die jeweilige Gruppe sagt: Nee, mit den anderen wollen wir nicht auch noch in einen Topf geworfen werden, unser Minderheiten dasein reicht uns völlig aus.

st: Das ist ein nachvollziehbares Argument. Ich entsinne mich zwar nicht, daß das so explizit aussprochen wurde. Man kann ja Türke sein, behindert, schwul und noch weiteres auf einmal. Und da ist es klar, daß jemand sagt, irgendwann ist mal Schluß, hier ist die Grenze.

th: Bei Jugendprojekten sieht«s anders aus. Die sind offener, interessierter daran, was bei anderen passiert, als vielleicht ältere, institutionalisierte Organisationen.

Sehen sich die Gruppen auch bewußt als Minderheiten, oder verdrängen sie das eher?

th: Das ist unterschiedlich. Die Schwulen-Lesbengruppen haben eher ein großes Selbstbewußstsein, habe ich den Eindruck. Die machen auch Sachen, die ihnen Spaß machen. Bei Migranten ist das nochmal einen andere Geschichte, weil sie keine Deutschen sind und tagtäglich darauf zurückgedrängt werden.
Das ist natürlich ein Thema, das denn auch bei der Veranstaltung angesprochen wird. Wie definieren sich die einzelnen Gruppen wirklich: Sehen wir uns als Minderheit, wie grenzen wir uns ab.

st: Dazu kommt noch, daß wir für die erste Veranstaltung Jugendliche explizit eingeladen haben, die sich gegen ethnische und soziale Ausgrenzung engagieren. Nicht eingeladen waren explizit Minderheitengruppen, die sich mit dem Thema befassen.

© scheinschlag 2000
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 21 - 1998