Ausgabe 09 - 1998berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Fahrradklau - leicht gemacht

Scheinschlag im Gespräch mit einem V-Mann (Deckname "Speiche"), der, einst aktiv, sich inzwischen aus dem Geschäft zurückgezogen hat, aber noch immer als profunder Kenner der Szene gilt.

Scheinschlag: Wie ist die Radklauszene organisiert?

Speiche: Ich kenne keine Szene. Was ist damit gemeint? Außerdem wird meist weniger organisiert als man annimmt.

Wie erfolgt der Absatz?

Es ist schwierig, Leute zu finden, die Räder abnehmen. Das ist eine bestimmte Klientel. Erstens: Leute, die ein teures Rad möchten, ohne viel dafür zu bezahlen, es aber zu schätzen wissen. Zweitens: die Leute ohne Ahnung, denen man alles verkaufen kann. Maximaler Abnahmepreis: ein Drittel des Neupreises, wenn es in neuwertigem Zustand ist. Dann das Problem der Kontakte. Man muß sich einen Kundenstamm aufbauen, es muß sich rumsprechen, aber das ist auch der springende Punkt, wo es gefährlich wird.

Wird auf Bestellung gearbeitet oder werden Angebote gemacht?

Sowohl als auch. Wenn es sich ergibt, werden ganze Ladungen von Rädern gezockt.

Aber am professionellsten ist der Klau auf Bestellung. In einem bestimmten Revier hast du Überblick, Adressenlisten. Du recherchierst, fährst Leuten nach...

Welches sind die Quellen bzw. welche Gelegenheiten werden wahrgenommen?

Erstens: aus einem Laden stehlen. Durch Einbruch oder Austricksen des Verkäufers. Der Wiederverkaufspreis liegt dann bei 50%. Zweitens, wenn du gerade mit Leuten unterwegs bist. Du siehst es stehen, abgeschlossen mit einem Kryptonite, aber an einem Holzzaun. Im Nu ist eine Säge organisiert. Bist du zu fünft unterwegs, kann das brachial vor sich gehen, niemand wird etwas sagen. Drittens gibts Leute, die kommen besoffen aus einer Kneipe, setzen sich auf ein Rad und fahren heim. Viertens: der Keller - ein ideales Betätigungsfeld. Keller sind menschenleere Räume. Oft sind die Räder dort nicht angeschlossen oder wenn, dann nur in sich. In noblen Gegenden begnügt man sich sogar damit, das Rad unabgeschlossen im abgeschlossenen Hausflur stehen zu lassen. Mit einem blauen Overall kommt man aber auch da problemlos ran.

Mit Kelleraufbruch rechnen sicher die wenigsten, eher ist es die Angst beim im öffentlichen Raum angeschlossenen Rad.

Oft ist es trotzdem grobe Fahrlässigkeit der Besitzer. Wie Räder mitunter abgeschlossen werden, ist lachhaft. Oft wird nicht der Rahmen, nur das Rad abgeschlossen. Oder man schließt es am Rahmen und einem Holzgeländer oder an einer Dachrinne ab, die bei einem kurzen Fußtritt nachgibt. Mir ist noch nie ein Rad geklaut worden.

Kommen wir zum Öffnen der Schlösser.

Wenn es dazu kommen sollte, was eher selten ist, dann mit einem Bolzenschneider. Der ist durch die Größe nur begrenzt einsetzbar. Zur Tarnung eignen sich z.B. Saxophonkoffer. Die Legenden von Eisspray und Akkuflex entbehren einer Grundlage.

Ab wann lohnt sich der Aufwand?

Nicht unter 1000,- DM, von denen dann - wie gesagt - nur ein Drittel übrigbleibt. Das Risiko ist daher abzuwägen, wobei ein Ausschluß von Risiko angestrebt wird. Ich hatte nie eine Anzeige, trotz ca. 200 gezockter Räder.

Wie erfolgt der Wiederverkauf, wird die Optik der Räder verändert?

Ich habe immer darauf geachtet, daß ein in einer Stadt geklautes Rad nie in derselben Stadt verkauft wird. Das war auch immer für die Kunden eine Sicherheit. Dann erübrigt sich auch das Manipulieren an der Rahmennummer. Die Polizei hält hauptsächlich Räder an, die überspritzt sind. In bestimmten Kreisen, die vorwiegend gezockte Räder fahren, sind die dann schwarz oder grün oder rot überpinselt. Wesentlich sinnvoller sind gezockte Papiere zum gezockten Rad. Also Blankopapiere, die du selbst ausfüllst und auch noch die Versicherung abkassierst.

Das setzt den Draht zu einem Händler voraus.

Den hat man dann. Alles eine Frage der Beziehungen.

Welches sind besonders gefährdete Orte?

Na, da wo Räder stehen: Kneipen, Kinos, Keller. Wer mit seinem 3000,- Mark-Rad ins Kino fährt, will sich präsentieren. Solche Räder sollten ausschließlich zum Fahren da sein. Der Trend in Berlin ist allerdings schon, daß viele schlechte Räder gut abgeschlossen sind. In Kleinstädten ist das einfacher: man sieht ein Rad, kann recherchieren, wem es gehört, wo es steht und eine Gelegenheit abwarten. In der Schweiz z.B. werden Räder gar nicht abgeschlossen. Da kannst du mit dem Bus durchfahren und einsammeln. In Berlin ist das schwieriger, du kannst kaum jemandem mit dem Auto folgen.

Bist du im Bild, welche Marken und Ausstattungen gefragt sind?

Momentan bin ich überfragt. Aber im Rennradbereich immer noch top: Pinarello, Koga Miyata, Eddie Merckx. Ausstattungsmäßig immer die höchsten Gruppen: XT, R. Ich hab von Leuten gehört, die sich darauf spezialisieren, Räder zu klauen und nur in Einzelteilen zu verkaufen. Was lukrativer ist, aber aufwendiger. MTB sind in ganz bestimmten Ausführungen gefragt; Rennräder nur auf Bestellung, wegen der Rahmengröße.

Gibt es Leute, die sich nur aufs Hehlen spezialisieren?

Wollte ich mal machen, da es ungefährlicher ist. Lohnt sich aber nicht, das Geschäft ist viel zu klein. Und je mehr Personen zwischengeschaltet sind, desto unsicherer wird es.

Hattest du je Skrupel?

Nein, dann hätte ich´s nicht getan. Oft hat Radbesitz was mit Image zu tun. Man kauft sich ein Rad mit einem guten Namen genauso wie eine teure Jeans. Leute, die unbedingt ein Cannondale brauchen, aber nur paar hundert Kilometer im Jahr fahren, haben (zu) viel Geld.

Oh ha, ein unentdeckter Robin Hood!

Ja, ich hatte durchaus moralische Ansprüche, indem ich Leuten, die den Wert kennen, Räder zu erschwinglichen Preisen anbiete. Außerdem bin ich der Meinung, daß außer den Versicherungen vom Radklau alle profitieren. Der Händler, indem immer wieder neue Räder gekauft werden; der Käufer, indem er sie preiswert bekommt.

Ich habe Prinzipien und kaufe ein Rad prinzipiell nur im Handel, falle also nicht in die genannten Kategorien. Nach dem dritten Mal zahlt die Versicherung nicht mehr und ich bin die Gelackmeierte.

Hast du also dreimal nicht richtig aufs Rad aufgepaßt, wie 90% aller Geschädigten.

Wird mir gewiß nicht wieder passieren. Künftig wird das Vorderrad rausgenommen und nebst Hinterrad und Rahmen an den Laternenpfahl angeschlossen.

Stadt essen Fahrrad auf

Wie Tricks und Technik vor Diebstahl schützen

Laut Polizeistatistik wurden im letzten Jahr in Berlin 27.272 Fahrräder als gestohlen gemeldet. Die Dunkelziffer läßt sich nur erahnen, denn die Aufklärungsquote ist mit 5,5 Prozent so mickrig, daß es kaum der Mühe Wert scheint, den Verlust des Drahtesels anzuzeigen. Ein Trugschluß, wie Detlev Fischer von der Beratungsstelle der Kripo betont: "Wir stellen hunderte von Fahrrädern sicher, können sie aber oft nicht zuordnen, weil die Bestohlenen keine Angaben gemacht haben." Die herrenlosen Velozipede landen in einem der städtischen Fundbüros und werden irgendwann versteigert. "Deswegen ist es sinnvoll, gleich nach dem Kauf einen Fahrradpaß auszufüllen und sich die Rahmennummer zu notieren", so Fischer weiter.

Am besten läßt man es aber gar nicht erst zum Klau kommen, und da hilft nur solide Hardware und eine gesunde Portion Vorsicht. "Die meisten Räder werden geklaut, weil die Leute sie nicht richtig anschließen", weiß Tom Heppner vom Fahrradladen "Zentralrad" in der Oranienstraße. Der Rahmen und Hinter- oder Vorderrad sollten auf jeden Fall mit einem massiven Objekt verbunden werden, z.B. einem Laternenpfahl. "Kleine Verkehrsschilder sind ungeeignet, da hebt man das Rad einfach rüber." Der zweite Kardinalfehler besteht darin, bei einem teuren Fahrrad am Schloß zu sparen. Bleistiftdünne Drahtschlingen mit buntem Plastiküberzug mögen zwar trendy aussehen, nötigen Fahrradpiraten aber nur ein müdes Grinsen ab. "Drahtseilschlösser sind nicht sicher", erklärt Heppner kategorisch. Er empfiehlt robuste Bügelschlösser, sogenannte "U-Locks". Allerdings sollte man sich auch hier vor Billigprodukten hüten. "Ein gutes Schloß besteht aus hochwertigem Stahl, außen gehärtet und innen elastisch." Die Qualität hat ihren Preis. "Mit 50 Mark aufwärts kommt man in die Sicherheitszone." Wirklich gute Schlösser verfügen zudem über einen Spezialzylinder mit Aufbohrschutz. Doch wie sichert man die titanverchromten Felgen, den Armani-Sattel mit Wildlederbezug, eben jene Gimmicks, die dem stilechten Biker lieb und teuer sind? Zu diesem Zweck gibt es spezielle (übrigens in Kreuzberg entwickelte) Schnellspannachsen. Der ordinäre Schraubverschluß ist hier durch eine codierte Mutter ersetzt, die sich nur mit einem individuell gefertigten Schlüssel lösen läßt und so keinen Angriffspunkt mehr für Klaufingers "Knochen" bietet. Einen hundertprozentigen Diebstahlschutz gibt es natürlich nicht, am wenigsten für wirklich teure Räder. "Behalten Sie das Rad nach Möglichkeit im Auge", rät Detlev Fischer. "Lassen Sie es nachts nicht im Hof stehen, nehmen Sie es mit in die Wohnung."

J.L.

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